Kirche und Konsum: Geht das zusammen?
“Die besondere Form des amerikanischen Evangelikalismus zeichnet sich durch enthusiastische Übernahme ‘säkularer‘ Geschäftspraktiken und Errungen-schaften aus. Neue Medien und Technologien werden rasch adaptiert, um sie als Evangelisierungsmittel einzu-setzen und um auf dem religions-pluralistischen Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Die Verbreitung der Frohen Botschaft auf wirksamste und modernste Art und Weise ist Leitsatz und Legitimation dieser Handlungsweise zugleich. Zeitschriften, Radio und Fernsehen wurden von religiösen Anführern instrumentalisiert, und auch die Produktwerdung geistlicher Musik trieb man durch Plattenfirmen, Radioshows und Fernsehprogramme voran. Diese Praxis der Annäherung an den marketplace of culture trug und trägt dazu bei, dass evangelikale Glaubensgemeinschaften in den USA keineswegs als weltfremd und verstaubt gelten, sondern ein junges, zeitgemäßes Image pflegen. Die Anpassung an gesellschaftliche Veränderungen - zu denen in den USA sicherlich der Siegeszug von Konsum, Kommerz und Kapitalismus gehören - ermöglichte es amerikanischen Evangelikalen, kulturell relevant zu bleiben.“
- Bärbel Harju: Rock & Religion. Eine Kulturgeschichte der christlichen Popmusik in den USA, Bielefeld 2011, S.74.
Die Amerikanistin Bärbel Harju legt mit ihrer Dissertation zur Verbindung von christlicher Musik und amerikanischer Kultur eine überzeugende Arbeit vor (auch wenn ich bislang neben “Einleitung“ und “Zusammenfassung“ nur bis S.74 gekommen bin). Interessant und neu war für mich einerseits, dass schon in den ersten amerikanischen Erweckungs-bewegungen ab Ende des 18. Jahrhunderts bewusst die mediale crème de la crème jener Zeit zum Einsatz kam und - ähnlich zu Luther während der Reformation im 16. Jahrhundert - populare Musik umgedichtet und für die eigenen Zwecke genutzt wurde. Dass also erst mit dem Aufkommen der Megachurches in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Art Einzug von Kommerz, Rampenlicht u.ä. in die Kirchen stattgefunden haben soll, wird spätestens mit dieser Untersuchung obsolet; vielmehr dürfte es tatsächlich Teil der amerikanischen DNA sein, dass Kirchen - besonders die Evangelikalen - sich in dieser Bewegung mitbeweg(t)en, zumal ja seit Gründung der Vereinigten Staaten das christliche Element in allen Schichten dominant und immerzu präsent war.
Andererseits fand ich spannend zu lesen, wie sehr auch vermeintlich säkulare Musiker wie Elvis Presley offensichtlich für die Entstehung der christlichen Musikszene maßgeblich waren. Zuvor hatte ich immer gedacht bzw. es so erlebt, als ob die christliche Szene mit ihren Kirchen und Künstlern quasi eine Parallelwelt darstellen würde; anscheinend aber spricht die Geschichte eine andere Sprache, und zumindest an entscheidenden Schnittstellen gibt es diese Durch-lässigkeit in beide Bereiche, wie beispielsweise noch heute an der Country-Szene zu erkennen ist (die zahlreiche christliche Elemente immer wieder in sich vereint).
Was mich theologisch allerdings bei all der stilistisch sicher sinnvollen Anpassung interessiert, ist die Frage, inwiefern Kirche damit noch kritisches Korrektiv zur säkularen Gesellschaft sein kann. Denn nicht nur musikalisch fand und findet hier eine Anpassung statt, sondern auch an den Geist der Marktwirtschaft und des Kapitalismus. Darüber hinaus ist auch eine theologische Reduktion nicht von der Hand zu weisen, sodass christliche Musik nicht nur in Konkurrenz zu säkularer Musik tritt, sondern v.a. seine gesellschaftliche Sprengkraft verliert, da das Evangelium (die frohe Botschaft) weitestgehend auf persönlich-innerliche Erlösung reduziert wird (diesen Aspekt streift Harju als Amerikanistin nur); wie säkulare Musik das Individuum als poten-tiellen Käufer anspricht, so will auch christliche Musik um das Individuum werben.
Das finde ich nicht nur verwerflich; auch ich mag bestimmte christliche Künstler, usw. Aber diese Anpassung hat nun mal auch seinen Preis. Mir persönlich fehlt oftmals die Eigenständigkeit christlicher Künstler, weil dem Trend hinterhergerannt wird; gut laufende Songs werden mehrfach gecovert, anstatt selbst kreativ zu werden. Theologisch innovative Texte findet man ebenfalls nur selten, die jenseits der persönlichen Liebesbeziehung zu Jesus agieren. Dass überhaupt grundsätzlich der kapitalistische Geist in christlichen Texten infrage gestellt würde, der ja gerade besonders in den USA vorherrscht, ist mir bislang ebensfalls nicht begegnet.
Die Frage, auf die ich letzten Endes dann doch immer wieder zurückkomme, lautet: Wie kann ein Weg aussehen, der einseits nicht weltfremd ist, aber andererseits nicht sämtliche Klischees aufnimmt bzw. zu bedienen sucht. Das betrifft sowohl Kirchen, christliche Künstler wie auch die gesamte Industrie, die dahintersteht. In jedem Fall ist mir an dieser Stelle wieder einmal bewusst geworden, wie tief diese Verwurzelung von Theologie und Kultur eigentlich reicht und nicht einfach gegeneinander auszuspielen ist.
- Bärbel Harju: Rock & Religion. Eine Kulturgeschichte der christlichen Popmusik in den USA, Bielefeld 2011, S.74.
Die Amerikanistin Bärbel Harju legt mit ihrer Dissertation zur Verbindung von christlicher Musik und amerikanischer Kultur eine überzeugende Arbeit vor (auch wenn ich bislang neben “Einleitung“ und “Zusammenfassung“ nur bis S.74 gekommen bin). Interessant und neu war für mich einerseits, dass schon in den ersten amerikanischen Erweckungs-bewegungen ab Ende des 18. Jahrhunderts bewusst die mediale crème de la crème jener Zeit zum Einsatz kam und - ähnlich zu Luther während der Reformation im 16. Jahrhundert - populare Musik umgedichtet und für die eigenen Zwecke genutzt wurde. Dass also erst mit dem Aufkommen der Megachurches in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Art Einzug von Kommerz, Rampenlicht u.ä. in die Kirchen stattgefunden haben soll, wird spätestens mit dieser Untersuchung obsolet; vielmehr dürfte es tatsächlich Teil der amerikanischen DNA sein, dass Kirchen - besonders die Evangelikalen - sich in dieser Bewegung mitbeweg(t)en, zumal ja seit Gründung der Vereinigten Staaten das christliche Element in allen Schichten dominant und immerzu präsent war.
Andererseits fand ich spannend zu lesen, wie sehr auch vermeintlich säkulare Musiker wie Elvis Presley offensichtlich für die Entstehung der christlichen Musikszene maßgeblich waren. Zuvor hatte ich immer gedacht bzw. es so erlebt, als ob die christliche Szene mit ihren Kirchen und Künstlern quasi eine Parallelwelt darstellen würde; anscheinend aber spricht die Geschichte eine andere Sprache, und zumindest an entscheidenden Schnittstellen gibt es diese Durch-lässigkeit in beide Bereiche, wie beispielsweise noch heute an der Country-Szene zu erkennen ist (die zahlreiche christliche Elemente immer wieder in sich vereint).
Was mich theologisch allerdings bei all der stilistisch sicher sinnvollen Anpassung interessiert, ist die Frage, inwiefern Kirche damit noch kritisches Korrektiv zur säkularen Gesellschaft sein kann. Denn nicht nur musikalisch fand und findet hier eine Anpassung statt, sondern auch an den Geist der Marktwirtschaft und des Kapitalismus. Darüber hinaus ist auch eine theologische Reduktion nicht von der Hand zu weisen, sodass christliche Musik nicht nur in Konkurrenz zu säkularer Musik tritt, sondern v.a. seine gesellschaftliche Sprengkraft verliert, da das Evangelium (die frohe Botschaft) weitestgehend auf persönlich-innerliche Erlösung reduziert wird (diesen Aspekt streift Harju als Amerikanistin nur); wie säkulare Musik das Individuum als poten-tiellen Käufer anspricht, so will auch christliche Musik um das Individuum werben.
Das finde ich nicht nur verwerflich; auch ich mag bestimmte christliche Künstler, usw. Aber diese Anpassung hat nun mal auch seinen Preis. Mir persönlich fehlt oftmals die Eigenständigkeit christlicher Künstler, weil dem Trend hinterhergerannt wird; gut laufende Songs werden mehrfach gecovert, anstatt selbst kreativ zu werden. Theologisch innovative Texte findet man ebenfalls nur selten, die jenseits der persönlichen Liebesbeziehung zu Jesus agieren. Dass überhaupt grundsätzlich der kapitalistische Geist in christlichen Texten infrage gestellt würde, der ja gerade besonders in den USA vorherrscht, ist mir bislang ebensfalls nicht begegnet.
Die Frage, auf die ich letzten Endes dann doch immer wieder zurückkomme, lautet: Wie kann ein Weg aussehen, der einseits nicht weltfremd ist, aber andererseits nicht sämtliche Klischees aufnimmt bzw. zu bedienen sucht. Das betrifft sowohl Kirchen, christliche Künstler wie auch die gesamte Industrie, die dahintersteht. In jedem Fall ist mir an dieser Stelle wieder einmal bewusst geworden, wie tief diese Verwurzelung von Theologie und Kultur eigentlich reicht und nicht einfach gegeneinander auszuspielen ist.
Hey, das ist ja echt interessant! Die waren also die ganze Zeit kulturell relevant (vielleicht nicht mehr so richtig in der Postmoderne ...), aber irgendwie so richtig toll würden wir es trotzdem nicht finden.
AntwortenLöschenJa, da hast Du recht, Walter - wenn ich Dich richtig verstanden habe. In D funktioniert ja offensichtlich nicht so einfach mit medialer Präsenz, etc., und dann füllen sich schon irgendwie die Kirchen. Die einzige Megachurch in D, die mir so einfällt, wäre die BGG in Stuttgart. Scheint also, nicht Teil unserer kulturellen DNA zu sein. Selbst bei der Eröffnung der neuen Räumlichkeiten unser damaligen Kirche, die wirklich hip war (Kinosessel, fette PA, guter Sound, etc.), musste ich feststellen, dass Kirchendistanzierte sich davon auch nicht ködern lassen. Interessiert waren die vielmehr an persönlichen authentischen Gesprächen; diese Show, die es de facto war und in vielen Kirchen oftmals ist, kam diesen Leuten viel zu aufgesetzt vor.
AntwortenLöschenHi Philipp
AntwortenLöschenHast du es mitlerweile noch fertig gelesen?-)
Oder ist es nur bis Seite 70 spannend!-)
Werde mir das Ding wohl auch zu Gemüte führen!-)
Gruss&Segen
Ich arbeite dran:-). Aber da ich es spaßeshalber neben meiner aktuellen Abschlussarbeit lese, komme ich natürlich nicht so schnell voran, wie ich gern möchte.
AntwortenLöschenWenn es mal wieder besonders prägnante Statements gibt, werde ich die auf jeden Fall hier bringen. Auch habe ich vor, nach Beendigung der Lektüre eine Zusammenfassung bzw. eine Rezension zu verfassen.
Ich hoffe, Dir damit Deine Frage beantwortet zu haben. Kurzum: Ja, spannend ist es nach wie vor. Aufgrund der umfangreichen Fragestellung ist die Untersuchung natürlich an manchen Stellen etwas oberflächlich-pauschalisierend, und besonders die theologischen wie musikwissenschaftlichen Aspekte kann die Verfasserin nicht ausführlich bringen, zumal sie ja Amerikanistin ist. Aber die Lektüre lohnt sich in jedem Fall, wenn man über solche Kleinigkeiten hinwegsehen kann.
Gruß und Segen zurück!