10 für mich entscheidende Bücher, Nr. 5: Dietrich Bonhoeffers “Ethik“
Die meinen Blog schon etwas länger verfolgen, wissen, wie sehr ich mich DIetrich Bonhoeffer (1906-1945) theologisch verbunden fühle. Die Anfänge - und damit die Weichenstellung - liegen im 5. Semester meines Theologiestudiums, in dem ich ein Seminar über Bonhoeffers “Ethik“ besuchte. Damals wusste ich von ihm nicht fiel, hatte lediglich einen Artikel über seine Nähe zum Pietismus gelesen. Aber dass mir dieses Seminar für so viele wichtige Punkte Augen öffnen würde, hätte ich damals nicht gedacht. Und so stieg ich damals in eine ganz entscheidende theologische Auseinandersetzung ein, die bis heute abhält und auch weitergeht.
Chronologisch ist die “Ethik“ Bonhoeffers Spätwerk oder Spätphase zuzuordnen (entstanden zwischen 1940 und 1943), wenn man seinem besten Freund und wichtigsten Biographien/Chronisten/- Forscher Eberhard Bethge in seiner Dreiteilung von Bonhoeffers Schaffensphase folgt. Inhaltlich spiegelt dieses Werk aber vielmehr seine gesamte Schaffenszeit wider. So hat Bonhoeffer selbst die “Ethik“ als seine “Lebensaufgabe“ angesehen (so E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, 9. Aufl. Gütersloh 2005); sie ist aus meiner Sicht der krönende Abschluss und finale Punkt, wenn man von seinen Gefängnisbriefen (“Widerstand und Ergebung“) mit der “nicht-religiösen Interpretation“ und dem “Religionslosen Christentum“ einmal absehen will, die ja relativ fragmentarisch bleiben; und auch diese Entwicklung ist in der “Ethik“ bereits eingeschlagen, verwurzelt und angedeutet.
Nachdem ich mittlerweile so ziemlich alles von Bonhoeffer gelesen habe, ist die “Ethik“ für mich auch nach wie vor das Hauptwerk, eine Art summa theologica, mögen andere seiner Bücher auch in höheren Auflagen abgesetzt worden sein. Denn sie integriert im Prinzip die ganze Breite von Bonhoeffers Denken; faktisch handelt es sich bei der “Ethik“ nicht so recht um ein Buch, sondern vielmehr ist es zunächst einmal eine Sammlung von Manuskripten - d.h. Roh- oder Grundversionen (dem Worte entsprechend Handschriften Bonhoeffers) -, die er selbst nicht veröffentlicht hat, sondern dessen Veröffentlichung erst nach seinem Tod von Eberhard Bethge in die Wege geleitet wurde. Darum ist die “Ethik“ in mancherlei Hinsicht auch etwas “brüchig“, was aber die Nähe zu dem, worum es Bonhoeffer zu sagen ging, noch näher werden lässt, wie ich meine.
So finden wir in der aktuellen Auflage der “Ethik“ beispielsweise das Manuskript “Christus, die Wirklichkeit und das Gute“, in dem Bonhoeffer ganz im Sinne von “Schöpfung und Fall“ gegen jede Tugendethik zugunsten einer Situationsethik argumentiert: Die Tugendethik setze voraus, dass der Mensch zwischen gut und böse unterscheiden könne, was aber gerade ein Zeichen des gefallenen Menschen sei; vielmehr solle der Christus-Nachfolger nur Christus wissen, von dem er alles erfahre, so Bonhoeffer. In “Ethik als Gestaltung“ nennt er dies den einfältigen Glauben und rückt die imitatio Christi in den Mittelpunkt, womit deutliche Überschneidungen zur “Nachfolge“ gegeben sind. Mit “Erbe und Verfall“ legt Bonhoeffer sein Verständnis der Kirchengeschichte als Verfallsgeschichte dar und spricht dezidiert von dem “Wunder einer neuen Glaubenserweckung“ wie auch der Jüdischkeit Jesu, was besonders in heutiger Zeit wieder prominent in den Vordergrund gerückt wird, zu Bonhoeffers Zeit - im Zweiten Weltkrieg - aber gerade zu revolutionär wirkt. Innovativ wird Bonhoeffer auch mit der Unterscheidung der “letzten und vorletzten Dinge“ im gleichnamigen Manuskript, womit er auf zwei qualitativ unterschiedliche Bereiche hinaus will, einerseits die Zeit vor und andererseits die Zeit mit/nach der Inkarnation, Kreuzigung und Auferstehung Christi; der Christ erlebe und lebe in beiden Bereichen, deren Übergang durch das gnädige Wort Gottes in Jesus Christus initiiert sei und durch den Glauben des Einzelnen fundiert werde, wodurch der Mensch - durch seine relationale Verbindung zu Christus - für “Gott und den Bruder“ frei werde, im Sinne einer Rückführung vor den Fall des Menschen (vgl. “Schöpfung und Fall“; Bonhoeffer versteht Freiheit nämlich nicht nur als frei von Sünde, sondern auch als Freisein für etwas, das in seiner Anthropologie verwurzelt ist). Gleichzeitig meint Bonhoeffer mit der Unterscheidung zwischen letzten und vorletzten Dingen auch das Verhältnis von neuer zu materiell-irdischer Schöpfung, betont dabei aber - auch wenn er dies in den Gefängnisbriefen aus Tegel erst in letzter Konsequenz durchzieht - die Notwendigkeit der irdischen Schöpfung; Bonhoeffer erliegt somit nicht einer mystisch-spirituellen Entfremdung aus dem diesseitigen Leben, wie man zunächst vermuten könnte und wie dies zeitweise im Pietismus und bestimmten freikirchlichen Theologien (wie dem Dispensationalismus) prominent war/ist. Bioethische Überlegungen stellt Bonhoeffer ebenfalls an, und zwar in “Das natürliche Leben“ an, u.a. anhand von Abtreibung oder auch Suizid.
Richtig neu wird es in “Die Geschichte und das Gute [2. Fassung]“, weil Bonhoeffer hier anhand der Theologumena der “Verantwortung“ und “Stellvertretung“ auf Grundlage seiner Christologie seine eigene Teilnahme an der Konspiration gegen Hitler und den Nationalsozialismus rechtfertigt/ableitet: Wie der sündlose Jesus Christus für den Menschen stellvertretend Schuld auf sich genommen hat und so die Schuld von der Menschheit abwendet, so hat der Christ, der auf den Ruf Christi in die Nachfolge antwortet (= Verantwortung), stellvertretend für Andere Schuld auf sich zu nehmen. Bereits in seiner Dissertation über die Soziologie der Kirche, “Sanctorum Communio“, sind die Termini aufgetaucht, aber nun ist Bonhoeffer nicht mehr so sehr auf die “Ausschließlichkeit der Herrschaft Christi“ fixiert, wie dies v.a. in der “Nachfolge“ von ihm ausführlich dargelegt wird, sondern der Fokus liegt auf der “Weite seines [Christi] Herrschaftsbereichs“, nämlich der gesamten Welt jenseits von kirchlichen Mauern u.ä. (aber natürlich schließt das Eine das Andere nicht aus, und das will Bonhoeffer auch gar nicht sagen).
Bonhoeffers “Ethik“ ist somit viel mehr als nur eins von vielen Büchern, die Bonhoeffer im Zuge seines kurzen Lebens verfasst hat. In ihm bündeln sich seine Christologie, seine Anthropologie, sein Weltverständnis, seine Ekklesiologie und all die wichtigen Dinge wie sein relationales Denken, Verantwortung und Stellvertretung etc. Wer ein wenig theologisch geschult ist, dem lege ich stellvertretend für Bonhoeffers Denken die “Ethik“ ans Herz, weil sie eben so viel in sich vereint. Für mich ist die “Ethik“ u.a. deshalb nicht nur eins der zehn entscheidenden Bücher auf meinen Weg in der Nachfolge Christi - in diesem Fall wegen des Beginns der intensiven Auseinandersetzung mit Bonhoeffer -, sondern ich würde dieses Werk auch unter die Top-5 der wichtigsten theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts wählen.
Chronologisch ist die “Ethik“ Bonhoeffers Spätwerk oder Spätphase zuzuordnen (entstanden zwischen 1940 und 1943), wenn man seinem besten Freund und wichtigsten Biographien/Chronisten/- Forscher Eberhard Bethge in seiner Dreiteilung von Bonhoeffers Schaffensphase folgt. Inhaltlich spiegelt dieses Werk aber vielmehr seine gesamte Schaffenszeit wider. So hat Bonhoeffer selbst die “Ethik“ als seine “Lebensaufgabe“ angesehen (so E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, 9. Aufl. Gütersloh 2005); sie ist aus meiner Sicht der krönende Abschluss und finale Punkt, wenn man von seinen Gefängnisbriefen (“Widerstand und Ergebung“) mit der “nicht-religiösen Interpretation“ und dem “Religionslosen Christentum“ einmal absehen will, die ja relativ fragmentarisch bleiben; und auch diese Entwicklung ist in der “Ethik“ bereits eingeschlagen, verwurzelt und angedeutet.
Nachdem ich mittlerweile so ziemlich alles von Bonhoeffer gelesen habe, ist die “Ethik“ für mich auch nach wie vor das Hauptwerk, eine Art summa theologica, mögen andere seiner Bücher auch in höheren Auflagen abgesetzt worden sein. Denn sie integriert im Prinzip die ganze Breite von Bonhoeffers Denken; faktisch handelt es sich bei der “Ethik“ nicht so recht um ein Buch, sondern vielmehr ist es zunächst einmal eine Sammlung von Manuskripten - d.h. Roh- oder Grundversionen (dem Worte entsprechend Handschriften Bonhoeffers) -, die er selbst nicht veröffentlicht hat, sondern dessen Veröffentlichung erst nach seinem Tod von Eberhard Bethge in die Wege geleitet wurde. Darum ist die “Ethik“ in mancherlei Hinsicht auch etwas “brüchig“, was aber die Nähe zu dem, worum es Bonhoeffer zu sagen ging, noch näher werden lässt, wie ich meine.
So finden wir in der aktuellen Auflage der “Ethik“ beispielsweise das Manuskript “Christus, die Wirklichkeit und das Gute“, in dem Bonhoeffer ganz im Sinne von “Schöpfung und Fall“ gegen jede Tugendethik zugunsten einer Situationsethik argumentiert: Die Tugendethik setze voraus, dass der Mensch zwischen gut und böse unterscheiden könne, was aber gerade ein Zeichen des gefallenen Menschen sei; vielmehr solle der Christus-Nachfolger nur Christus wissen, von dem er alles erfahre, so Bonhoeffer. In “Ethik als Gestaltung“ nennt er dies den einfältigen Glauben und rückt die imitatio Christi in den Mittelpunkt, womit deutliche Überschneidungen zur “Nachfolge“ gegeben sind. Mit “Erbe und Verfall“ legt Bonhoeffer sein Verständnis der Kirchengeschichte als Verfallsgeschichte dar und spricht dezidiert von dem “Wunder einer neuen Glaubenserweckung“ wie auch der Jüdischkeit Jesu, was besonders in heutiger Zeit wieder prominent in den Vordergrund gerückt wird, zu Bonhoeffers Zeit - im Zweiten Weltkrieg - aber gerade zu revolutionär wirkt. Innovativ wird Bonhoeffer auch mit der Unterscheidung der “letzten und vorletzten Dinge“ im gleichnamigen Manuskript, womit er auf zwei qualitativ unterschiedliche Bereiche hinaus will, einerseits die Zeit vor und andererseits die Zeit mit/nach der Inkarnation, Kreuzigung und Auferstehung Christi; der Christ erlebe und lebe in beiden Bereichen, deren Übergang durch das gnädige Wort Gottes in Jesus Christus initiiert sei und durch den Glauben des Einzelnen fundiert werde, wodurch der Mensch - durch seine relationale Verbindung zu Christus - für “Gott und den Bruder“ frei werde, im Sinne einer Rückführung vor den Fall des Menschen (vgl. “Schöpfung und Fall“; Bonhoeffer versteht Freiheit nämlich nicht nur als frei von Sünde, sondern auch als Freisein für etwas, das in seiner Anthropologie verwurzelt ist). Gleichzeitig meint Bonhoeffer mit der Unterscheidung zwischen letzten und vorletzten Dingen auch das Verhältnis von neuer zu materiell-irdischer Schöpfung, betont dabei aber - auch wenn er dies in den Gefängnisbriefen aus Tegel erst in letzter Konsequenz durchzieht - die Notwendigkeit der irdischen Schöpfung; Bonhoeffer erliegt somit nicht einer mystisch-spirituellen Entfremdung aus dem diesseitigen Leben, wie man zunächst vermuten könnte und wie dies zeitweise im Pietismus und bestimmten freikirchlichen Theologien (wie dem Dispensationalismus) prominent war/ist. Bioethische Überlegungen stellt Bonhoeffer ebenfalls an, und zwar in “Das natürliche Leben“ an, u.a. anhand von Abtreibung oder auch Suizid.
Richtig neu wird es in “Die Geschichte und das Gute [2. Fassung]“, weil Bonhoeffer hier anhand der Theologumena der “Verantwortung“ und “Stellvertretung“ auf Grundlage seiner Christologie seine eigene Teilnahme an der Konspiration gegen Hitler und den Nationalsozialismus rechtfertigt/ableitet: Wie der sündlose Jesus Christus für den Menschen stellvertretend Schuld auf sich genommen hat und so die Schuld von der Menschheit abwendet, so hat der Christ, der auf den Ruf Christi in die Nachfolge antwortet (= Verantwortung), stellvertretend für Andere Schuld auf sich zu nehmen. Bereits in seiner Dissertation über die Soziologie der Kirche, “Sanctorum Communio“, sind die Termini aufgetaucht, aber nun ist Bonhoeffer nicht mehr so sehr auf die “Ausschließlichkeit der Herrschaft Christi“ fixiert, wie dies v.a. in der “Nachfolge“ von ihm ausführlich dargelegt wird, sondern der Fokus liegt auf der “Weite seines [Christi] Herrschaftsbereichs“, nämlich der gesamten Welt jenseits von kirchlichen Mauern u.ä. (aber natürlich schließt das Eine das Andere nicht aus, und das will Bonhoeffer auch gar nicht sagen).
Bonhoeffers “Ethik“ ist somit viel mehr als nur eins von vielen Büchern, die Bonhoeffer im Zuge seines kurzen Lebens verfasst hat. In ihm bündeln sich seine Christologie, seine Anthropologie, sein Weltverständnis, seine Ekklesiologie und all die wichtigen Dinge wie sein relationales Denken, Verantwortung und Stellvertretung etc. Wer ein wenig theologisch geschult ist, dem lege ich stellvertretend für Bonhoeffers Denken die “Ethik“ ans Herz, weil sie eben so viel in sich vereint. Für mich ist die “Ethik“ u.a. deshalb nicht nur eins der zehn entscheidenden Bücher auf meinen Weg in der Nachfolge Christi - in diesem Fall wegen des Beginns der intensiven Auseinandersetzung mit Bonhoeffer -, sondern ich würde dieses Werk auch unter die Top-5 der wichtigsten theologischen Bücher des 20. Jahrhunderts wählen.
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