Reich Gottes, soziale Gerechtigkeit und bedingungsloser Pazifismus: Shane Claibornes "The irresistible revolution. Living as an ordinary radical"

Auf den ersten Blick wirkt Shane Claiborne wie ein Hippie bzw. Freak, wie er im Buche steht: Lange Dreadlocks, weite - nicht besonders stylische - Klamotten und redet eigentlich die ganze Zeit über nichts anderes als Frieden und Gerechtigkeit; eben typisch Hippie und damit völlig weltfremd, mag man denken. Doch bei genauerem Hinsehen bzw. Nachlesen seines Buches "The irresistible revolution. Living as an ordinary radical", Michigan 2006 (dt.: "Ich muss verrückt sein, so zu leben. Kompromisslose Experimente in Sachen Nächstenliebe") wurde mir schnell klar, daß hier jemand schreibt, der mehr zu sagen hat, als lediglich abgedroschene Formeln zu wiederholen.

Ich möchte nachfolgend keine ausführliche Buchrezension vorlegen, sondern lediglich ein paar Notizen über das Buch geben, weshalb es sich lohnt, es zu lesen. Ein paar Gedanken meinerseits schließen sich dem an.

Mit etwas mehr 350 Seiten gehört das Buch sicherlich zu den Umfangreicheren des Genres; da aber weder Stil noch Inhalt abstrakt geschrieben sind, sondern Shane die meiste Zeit über Geschichten aus seinem Leben oder dem Leben anderer schildert, läßt es sich sehr gut und flüssig lesen.


Mit dem Stil verbunden ist auch der rote Faden: Es gibt nämlich eigentlich keinen. Zumindest habe ich ihn beim Lesen nicht entdeckt, muß allerdings auch dazu sagen, daß ich es nicht in einer Woche gelesen habe, sondern wohl eher über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten.


Daß dieser rote Faden nicht auf Anhieb zu entdecken ist, mindert keineswegs die Qualität des Buches. Vielmehr versucht Shane, anhand seiner Erlebnisse, verbunden mit theologischen Erläuterungen, seine Punkte deutlich zu machen. Hier schreibt jemand, der nicht nur theoretisch zu einem Ergebnis gekommen ist, z.B. das Feindesliebegebot Jesu wortwörtlich ernst zu nehmen. Denn er berichtet beispielsweise, wie er während des zweiten Golfkrieges in den Irak geflogen ist, um dort mit den Menschen zu leben, sie zu verstehen und von ihnen zu lernen.
Einige der Geschichten, die Shane erlebt hat und mich besonders angesprochen haben, seien nachfolgend kurz genannt:
  • Shane berichtet ausführlich von der Kommunität "The simple way", der er selbst angehört und die Teil der Bewegung "New Monasticism" ist. Hierbei handelt es sich um eine sehr spartanisch eingerichtete Lebensgemeinschaft im sozialen Brennpunkt Philadelphias. Alle Bewohner haben es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, den Menschen vor Ort zu dienen und neue Hoffnung zu schenken. Es geht ihnen um den persönlichen Kontakt zu und die Solidarisierung mit Obdachlosen, Prostituierten, usw., denn Shane ist der Ansicht, daß man erst durch tatsächlichen Kontakt auch selbst verändert wird. Mich fordert dieser Gedanke ziemlich heraus, weil ich bislang immer Schwierigkeiten z.B. im Umgang mit Obdachlosen habe; grundsätzlich finde ich den Gedanken aber gut.
  • Ein für mich sehr ernstzunehmendes Thema ist das Hinterfragen bestimmter gesellschaftlicher Gegebenheiten (z.B. Kapitalismus) oder auch einen religiösen Konservatismus, wie er durch G.W. Bush vertreten wird. Shane erzählt sehr bildhaft, wie er während des US-Präsidenten-Wahlkampfes Eintritt zu einer besonderen Veranstaltung Bushs erhält. Als Bush anfängt zu reden, beginnt Shane mit dem Zitieren von Bibelversen, ähnlich wie schon die Propheten des Alten Testaments.
  • Besonders emotional einnehmend empfinde ich auch Shanes Bericht über seine Zeit im Irak. Statt von Irakis getötet zu werden, wie es - salopp formuliert - seine Landsleute mit den Irakis im Krieg ja tun, wird er als Gast herzlich aufgenommen und Leben werden geteilt. Shane macht erneut darauf aufmerksam, daß hinter jedem getöteten Iraki ein Sohn, Bruder und womöglich auch Familienvater bzw. Ehemann steckt. Er tritt damit ein für einen bedingungslosen Pazifismus, dem ich gern zustimmen und ebenfalls umsetzen möchte.
Theologisch verbindet Shane die Berichte immer wieder mit Jesus-Erzählungen und Gedanken zum Reich Gottes. Aus meiner Sicht schafft er es sehr gut, Christentum bzw. Nachfolge Jesu nicht nur auf soziale Gerechtigkeit zu reduzieren. Natürlich ist dies sein Kernthema, aber je mehr ich Jesus verstehe, je mehr ich mich auch mit dem jüdischen Denken und Weltbild auseinandersetze - dem Jesus ja eindeutig entstammt -, desto mehr komme ich zurück zum Doppelgebot der Liebe (Mt 22,37ff.), bei dem Jesus (nach meinem Verständnis) folgendes sagen möchte (die alten jüdischen Auslegungsregeln berücksichtigend): Wenn Du Gott lieben willst, liebe Deinen Nächsten!


Wir Christen neigen ja gern dazu, die Eschatologie (Endzeit; Rückkehr Jesu; neuer Himmel und neue Erde) vom Hier und Jetzt zu trennen und auf ein unbestimmtes Später zu reduzieren. Ich persönlich bin aber davon überzeugt, daß unser jetziges Tun Konsequenzen haben wird; nicht (so sehr) im juristischen Denken, daß wir für unsere Taten einstehen müssen. Vielmehr glaube ich, daß es ganz praktische Konsequenzen auf den erneuerten Himmel und die erneuerte Erde haben wird. Wie sich das im Detail verhält, möchte ich gern weiter herauszufinden (für Anregungen Eurerseits bin ich auch sehr dankbar und natürlich für Diskussion offen).

Wie sich das auch immer genauer verhalten mag: ich kann die Auseinandersetzung mit Shanes Gedanken und Erfahrungen nur wärmstens empfehlen, denn neben dem, was Gott bereits getan hat und täglich tut, liegt es an uns, ob wir bereit sind, Sein Reich zu empfangen (wie die Kinder) und es zu leben und weiterzugeben. Deshalb sei jedem die Lektüre dieses Buches wärmstens ans Herz gelegt. Ich selbst habe sehr davon profitiert. Ob ich es auch lebe, steht auf einem anderen Blatt...

Kommentare

  1. Euer Wille sage: der Übermensch sei der Sinn der Erde!
    Ich beschwöre euch, meine Brüder,
    bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht,
    welche euch von überirdischen Hoffnungen reden!
    Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.

    Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra.

    Alle Weisen der Kulturgeschichte (auch die erfundenen wie Nietzsches Zarathustra) haben sich zuerst in die Einsamkeit begeben, weil das Streben nach einer "gesellschaftlichen Position" und Erkenntnis sich gegenseitig ausschließen. Um in einer kapitalistischen Gesellschaft eine "Position" zu erreichen, muss man sich selbst und andere ständig belügen, ob bewusst oder unbewusst. Am Ende ("Hurra, ich bin Bundeskanzler!") lässt sich Wahrheit und Lüge gar nicht mehr unterscheiden und man (oder Frau) versinkt in einem Ozean naiver Vorurteile, aus dem ein Auftauchen aus eigener Kraft nicht mehr möglich ist.

    Erst nach jahrelanger Einsamkeit – zumindest weitgehender Unabhängigkeit – kann überhaupt die 1. Stufe der Erkenntnis erreicht werden; die Auferstehung, die Befreiung von allen Vorurteilen: den Göttern (künstliche Archetypen im kollektiv Unbewussten) und ihren Schutzengeln (Denkblockaden). Der Weise steht jetzt über den Göttern, die der unbewusste (religiös verblendete) Mensch braucht, um in seiner bescheidenen Welt "glücklich" zu sein. Dann hat der Weise die Chance zur Erleuchtung, um die Götter überflüssig zu machen:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

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  2. Zunächst einmal danke, Stefan, für Deinen Kommentar. Mir war nicht bewusst, dass auch Leute jenseits einer irgendwie gearteten Zugehörigkeit zu einer der Kirchen meinen Blog lesen würden. Umso besser!

    Es ist ja auch mehr als legitim, Nietzsche zu lesen und gar Gefallen daran zu finden. Ich frage mich allerdings, ob Du nicht in eine ähnlich engstirnige Haltung verfällst, wie ich sie - natürlich auf entgegengesetzt-christlicher Seite - z.B. teilweise in diesem Blogpost finde: http://toby-faix.blogspot.de/2011/10/weltbild-wahrheit-part-2.html.

    Bin grundsätzlich gern an Deinen Kritikpunkten interessiert, die Du dem Christentum, einer Kirche oder auch grundsätzlich Religion gegenüber aufzubringen hast. Bitte formuliere sie aber so, dass sich darüber diskutieren und argumentieren lässt. Meinungen, die nicht diskussions- oder gar wissenschaftstauglich sind, helfen niemandem. Vielleicht probierst Du es mal mit Fragen?!

    Viele Grüße,
    Philipp

    P.S. Weil Du Nietzsche zitierst, kennst Du Dich sicherlich auch ein wenig aus, was seine Biographie betrifft, konkret seinen - nennen wir es mal - psychischen Knacks aufgrund einseitigen Erziehung durch seine Mutter nach dem Tod, was ihn in einen Gender-Komplex geführt hat. Glaubst Du nicht auch, dass das einen nicht unwesentlichen Teil für die Entwicklung seiner Gedanken ausgemacht hat?

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