Gedanken zu Bonhoeffers Beichtverständnis
“Es kann sein, daß Christen trotz gemeinsamer Andacht, gemeinsamen Gebetes, trotz aller Gemeinschaft im Dienst allein gelassen bleiben, daß der letzte Durchbruch zur Gemeinschaft nicht erfolgt, weil sie zwar als Gläubige, als Fromme Gemeinschaft miteinander haben, aber nicht als die Unfrommen, als die Sünder. Die fromme Gemeinschaft erlaubt es ja keinem, Sünder zu sein. Darum muß jeder seine Sünde vor sich selbst und vor der Gemeinschaft verbergen. Wir dürfen nicht Sünder sein. Unausdenkbar das Entsetzen vieler Christen, wenn auf einmal ein wirklicher Sünder unter die Frommen geraten wäre. Darum bleiben wir mit unserer Sünde allein, in der Lüge und der Heuchelei; denn wir sind nun einmal Sünder.“
- Dietrich Bonhoeffer: Gemeinsames Leben, hrsg. von E. Bethge u.a., Gütersloh 29. Auflage 2010, S.93.
Als ich endlich Bonhoeffers Büchlein “Gemeinsames Leben“ zuende las, begegneten mir im letzten Kapitel direkt zu Beginn diese Sätze, die mich nicht mehr loslassen wollten. Bonhoeffer verstand als Lutheraner den Zustand des Christen als “simul iustus et peccator“ (dt. “zugleich gerecht und Sünder“), mußte aber in der Praxis eine Schwierigkeit feststellen: Offensichtlich wurde in Finkenwalde, dem Predigerseminar der Bekennenden Kirche, die Seite des gerechtfertigten Christen betont, der sich entsprechend seiner Rechtfertigung als frommer Christ zu benehmen hatte; daß jeder Christ aber nach wie vor Sünder war (bzw. ist), vergaß man anscheinend, was dazu führte, innerhalb der Gemeinschaft seine Fehler und konkreten Vergehen/Sünden unter den Tisch zu kehren und vor den anderen zu verbergen.
Wie die konkrete Situation damals in Finkenwalde auch immer gewesen sein mag: Bonhoeffer spricht aus meiner Sicht einen wichtigen Punkt an, den ich heutzutage noch in vielen Kirchengemeinden vorwinde, nämlich daß keine echte Offenheit stattfindet, die Masken oben bleiben und wir uns sonntags - sehr überspitzt formuliert - zum Kirchentheater treffen. Wir reden zwar von authentischem Christsein, aber gehen dann doch den wirklich lebens- und gemeinschaftstransformierenden Weg (noch) nicht und lassen mal die geistigen Hüllen fallen.
Was muß passieren, damit eine noch größere Tiefe in die Gemeinschaft von Christen kommt? Bonhoeffer schlägt uns ein Tool vor, und zwar die Beichte jedes einzelnen vor einem selbst ausgewählten Christen, der selbst beichtet. Damit meint er keinen allgemeinen Rundumschlag wie “Ich weiß, daß ich ein Sünder bin; bitte vergib mir!“, sondern vielmehr das konkrete Bekenntnis einzelner Sünden, Vergehen, Fehler, die ich begangen habe. Das verhelfe, so Bonhoeffer, zu vier Durchbrüchen:
- Durchbruch zur Gemeinschaft: Der Sünder liefert sich an den Bruder bzw. Beichthörer und damit an die Gemeinschaft aus, denn der Bruder steht stellvertretend für die Gemeinschaft (94f.).
- Durchbruch zum Kreuz: Im Anklang an klassische Traditionen hält Bonhoeffer die superbia, also den Hochmut, für die Wurzel des Übels (95), während die Beichte zur Demütigung vor dem Brüder führt und damit den Weg zu Kreuz freimacht (96).
- Durchbruch zum neuen Leben: “Wo Sünde gehaßt, bekannt und vergeben ist, dort ist der Bruch mit der Vergangenheit vollzogen.“ (96)
- Durchbruch zur Gewißheit: Statt Selbstvergebung vollzieht sich im anderen die Gegenwart Gottes und führt zur Gewißheit göttlicher Vergebung (97f.).
Ich habe selbst diese Praxis der regelmäßigen Beichte (“Seelsorge“) im Marburger Kreis kennen- und schätzengelernt, weshalb ich Bonhoeffer an dieser Stelle wirklich beipflichte. Ich bin davon überzeugt, daß jeder Christ ganz individuell davon profitieren würde und damit auch seine Gemeinschaft oder Kirche, in welcher er/sie sich befindet. Bereits bestehende Mentoring- und Coaching-Beziehungen sind eine super Sache, um die Persönlichkeit, bestimmte Fähigkeiten und Talente zu fördern. Sicherlich würde eine regelmäßige Beichte (oder Seelsorge) innerhalb einer festen Zweierbeziehung (additiv auch zu viert als Ehepaar-Seelsorge) diesen Fächer an Tools bereichern, um ein noch hingegebenerer Nachfolger Jesu zu werden.
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