Der Kern des Evangeliums: Worum dreht sich eigentlich die gesamte Geschichte Gottes mit uns Menschen, was ist der rote Faden?
Im Zuge der
Auseinander- setzung mit der Apostelge- schichte und einer damit
verbundenen Predigt habe ich mir mal wieder die Fra- ge gestellt, was
eigentlich der Kern des Evangeliums ist, also was das Gute an der
Guten Nachricht oder das Frohe an der Frohen Botschaft ist (all diese
Übersetzungen von “evangelion“/“ευαγγελιον“ sind
ja zulässig und meinen dasselbe). Unter welchem Schlagwort lässt
sich möglichst viel von dem verei- nen, was wir in der (biblischen)
Story Gottes mit uns Menschen vor- finden - sozusagen der rote Faden,
der sich durch die gesamte Bibel zieht und auch danach nicht abreißt?
Die Frage mag zunächst theo- retisch klingen; tatsächlich hängt von
ihr aber ganz grundlegend ab, wie wir Kirche gestalten, was wir
predigen und wie wir “Nachfolge“ verstehen. Es geht hier also um
die absolten Basics, die aber gleich- zeitig so fundamental
entscheidend sind. Meine These ist, dass es im Kern des Evangeliums
um Wiederherstellung geht, wie ich nachfolgend zu zeigen versuche.
Noch vor einigen
Jahren war ich fest davon überzeugt, dass der Kern Beziehung sei,
die Gott mit den Menschen suche (z.B. in Jesu Dop- pelgebot der Liebe
ausgedrückt in Mk 12,28ff. Par.); das Motto von “Jugend mit einer Mission“ beispielsweise lautet “Gott kennen und Ihn bekannt
machen“. Und dies ist sicher auch alles andere als falsch. Aber was
mache ich mit Verheißungen wie, dass auch die
Schöpfung erlöst werden soll (vgl. bes Röm 8,18ff.)? Das wäre
aber doch gar nicht nötig, wenn es “nur“ um Gott und uns
Menschen ginge, denn dann könnte man auch bestimmten
Entrückungslehren (bsp. der “Dispensationalismus“) zustimmen,
die ja weitestgehend darauf hinauswollen.
Um der
Ausgangsfrage nach dem Kern des Evangeliums näher zu kommen, habe
ich mir angeschaut, was Jesus seinen Nachfolgern eigentlich aufträgt
zu tun und wovon immer wieder in der Apostel- geschichte berichtet wird
(mal abgesehen von Jesu Worten und Taten selbst). Ich stellte dabei
relativ schnell drei große “Arbeitsbereiche“ fest:
- Die Nachfolger Jesu erzählen/predigen von Jesu Kreuzigung und Auferstehung, wodurch Jesus als von Gott eingesetzter Gesalbter (Messias/Christus) und Erlöser angesehen wird, worin sich Gott erneut als Herr der Geschichte beweist (vgl. Apg 2,36ff.; 3,14ff.; 4,10ff.; 5,42; 8,5; 9,22 usw.).
- Sie versammeln sich regelmäßig zum gemeinsamen Gebet, zum Essen und Abendmahl (wenn sich die letzten beiden Punkte überhaupt voneinander trennen lassen; vgl. Apg 2,42; 4,23ff.).
- Sie heilen Kranke, tun Wunder und treiben böse Geister aus (vgl. Apg 3,6ff.; 5,12ff.; 6,8; 9,34.40 usw.).
Wenn ich dies
wiederum mit der Verständnis von Evangelium als Beziehung zw. Gott
und Mensch vergleiche, frage ich mich, warum die Jünger dann
überhaupt Kranke heilen usw. Reicht es dann nicht, dass Kranke sich
einfach zu Gott bekehren? Anscheinend ist also erneute Beziehung
zwischen Gott und seinen Menschen nicht der einzige Inhalt des
Evangeliums.
Im nächsten
Schritt habe ich mir die zwei großen Rahmenerzäh- lungen am Anfang
und Ende der Bibel vergegenwärtigt und konnte feststellen, dass die
o.g. Drei “Arbeitsbereiche“ der Nachfolger Jesu wie eine Antwort
auf die sog. Adam-und-Eva-Erzählung wirken. Denn nachdem Gott die
Welt, die Tiere und den Menschen geschaffen hat und ihn – bzw.
konkret Adam und Eva – in den Garten Eden gesetzt hat, um ihn zu
pflegen (Gen 1-2), geschieht das Unvorstellbare: Adam und Eva essen
von der verbotenen Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse
und wenden sich damit ab von Gott (vgl. Gen 3). Genau genommen, sind
es im Wesentlichen drei Facetten der Übertretung, die sich bei
diesem sog. “Sündenfall“ ereignen (vgl. Gen 3):
- Adam und Eva weisen Gottes Gebote zurück und schenken der Lüge der Schlange Glauben, dass sie selbst wie Gott sein könnten, berauben damit Gott seiner Autorität.
- Sie erkennen, dass sie nackt sind, und verstecken sich deshalb – aus Angst – vor Gott, wodurch die Beziehung zwischen Gott und Mensch gestört wird.
- Sie werden aus dem Paradies vertrieben, um nicht auch noch vom Baum des Lebens zu essen und Unsterblichkeit zu er- langen; statt dessen haben sie mit Leid, Schmerz und Tod zu kämpfen (wie schon die Ermordung ihres Sohnes Abel durch dessen Bruder Kain verdeutlicht).
Dabei ist
wichtig zu wissen, dass bei dieser Adam-und-Eva-Story der Punkt nicht
der ist, ob es sich hierbei um ein historisch greifbares Ereignis
handelt. Viel entscheidender – mit Søren Kierkegaard (“Die Krank- heit
zum Tode“) gesprochen – ist die Tatsache, dass sie sich in mir
und Dir immerzu wiederholt. Wir alle sind also Adam und Eva, denn wir
alle haben uns von Gott abgewandt und machen unser eigenes Ding. Wenn
ich nun diese drei Facetten der Adam-und-Eva-Story mit dem
vergleiche, was die Jünger tun, deckt sich dies ziemlich gut:
- Gott soll wieder als Gott und Herr verkündigt und anerkannt werden, und zwar jenseits des Volkes Israel (Israel war ja zuvor als auserwähltes Volk u.a. dazu beauftragt, den Monotheismus in die Welt zu bringen), indem Er sich in Jesus von Nazareth geoffenbart hat.
- Die Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zu mir selbst wird wiederhergestellt, was sich bei den Jüngern in der Güterge- meinschaft, den gemeinsamen Mahlzeiten und eben auch dem Gebet deutlich wird; besonders in der bis dato verbotenen Mahlgemeinschaft zwischen Juden und Griechen wird die Wiederherstellung zwischen den Völkern besonders deutlich (vgl. Gal 2,11ff.)
- Krankheit und Tod (wie auch die Herrschaft des Teufels/der Dämonen) werden durch Heilungen, Befreiungen/Exorzismen und Wunder bekämpft.
Der rote Faden
oder der Kern des Evangeliums mündet für mich deshalb in dem
Schlagwort, das diese drei Facetten in sich vereint und das ich
anfangs bereits eingeführt habe: Wiederherstellung. Nach der
Zerstörung durch den Menschen wird Gott als Schöpfer und Herr der
Geschichte wird wiederhergestellt, der die Beziehung zu den Menschen
und den Menschen untereinander wieder bzw. ganz neu ermöglicht, und
ebenso die gefallene Schöpfung – damit natürlich auch die
menschliche Natur – wird wiederhergestellt und darin von Leid,
Schmerz und Tod befreit.
Deutlich wird
dieses Ziel der Wiederherstellung in Offb 21, dem letz- ten Buch des
Neuen Testaments, wo von Gottes endgültiger Vollen- dung die Rede ist:
“Gott wird bei ihnen (uns Menschen; d. Verf.) wohnen, und sie
werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott
sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Au- gen, und der
Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz werden
sein. Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles
neu!“ (Vv. 3-5; Herv. v. Verf.)
Faszinierend für
mich ist dabei dies: Obwohl die Zerstörung in der Welt durch den
Menschen hervorgerufen worden ist, bindet sich Gott weitestgehend an
den Menschen, um diese Zerstörung von dem Menschen und seiner Welt
wiederum abzuwenden und Wiederher- stellung zu bringen. Dies beginnt
bereits mit der Erwählung Abra- hams, in dem alle Völker auf Erden
gesegnet sein sollen (vgl. Gen 12,3), und nimmt seinen ersten
Höhepunkt mit dem Volk Israel, dass Gott aus Ägypten führt mit dem
Ziel, Agent Gottes in der Geschichte zu sein.
Warum dies nun
gerade so passiert bzw. warum Gott ein Volk beruft, durch das Er aber
offenkundig letztlich nicht Wiederherstellung brin- gen kann, muss an
dieser Stelle offen bleiben. Fakt ist aber, dass Gott in letzter
Instanz den Weg wählt, selbst Mensch zu werden, um dieser Welt samt
dem Menschen Wiederherstellung zu bringen, und zwar in Jesus von
Nazareth. Mit Jesu Auftreten bricht die endgültige Wiederherstellung
Gottes an (vgl. Röm 8,18ff.; Gal 4,4; Eph 1,9ff. u.a.), die auf den
großen Tag der Vollendung hin kulminiert, wie er oben in Offb 21
beschrieben ist.
Es wäre aber
nun weit gefehlt zu glauben, dass mit Jesus schon alles endgültig
vollendet sei. Das bemerkt jeder von uns selbst sofort, und nach
obigen Verständnis des Evangeliums geht es ja um “ganzheit- liche“
Wiederherstellung und nicht nur um eine irgendwie geartete
spirituelle Erlösung. Deswegen ist mit Ostern auch nicht Schluss der
Heilsgeschichte, natürlich aber ein ganz existentieller
Höhepunkt, weil der auferstandene Jesus der Erste ist, dessen Körper
vollständig wiederhergestellt bzw. transformiert ist (merkwürdig
allerdings, dass man laut Joh immer noch die Seitenwunde und die Male
sieht; vgl. Joh 20,27). Aber 49 Tage nach Ostern, an Pfingsten,
erhalten die Nachfolger Jesu ebenfalls die Wiederherstellungspower
Gottes, den Heiligen Geist, durch den ja auch Jesus nur die Dinge tun
konnte, die er zu seinen Lebzeiten (also vor der Kreuzigung) tat:
Menschen heilen, Wunder tun und die Beziehung zu Gott (und auch den
Men- schen?) wiederhergestellt erleben. Und nun sind die Nachfolger
Jesu ebenfalls dazu berufen, den o.g. drei Facetten der Zerstörung
durch Wiederherstellung zu begegnen, sie selbst zu erleben und ebenso
weiterzugeben. Erneut bindet sich Gott somit an den Menschen, um die
mit Jesus bereits angebrochene Wiederherstellung in der Welt
auszubreiten, natürlich nicht vollständig, sondern mit der Hoffnung
auf die endgültige Vollendung Gottes (Offb 21). Traditionell spricht
man hier von dem “Schon jetzt und noch nicht“, denn der
Wiederherstel- lungsprozess Gottes ist angebrochen, aber er dauert an
und ist noch nicht vollendet.
Und so sind auch
wir im 21. Jahrhundert als Nachfolger Jesu nach wie vor mit dem
Heiligen Geist zugerüstet und dazu aufgefordert, Wiederherstellung
zu bringen: Durch Wiederanerkennung Gottes als Herr der Welt,
Geschichte und des Menschen, durch Subversion der bestehenden
(ungerechten) Gesellschaftsordnungen, durch Instand- setzungen der
Beziehungen zu Gott, den Nächsten und mir selbst und auch durch
Wunder und Krankenheilungen. Nicht um eine ab- strakte Bekehrung geht
es noch um rein ekstatisch-charismatische Erlebnisse, dessen Wirkung
nur im Moment bleibt, sondern um eine ganzheitliche
Wiederherstellung, die den trinitarischen Gott als Schöpfer (Vater),
Erlöser (Sohn) und Vollender (Heiliger Geist) zu gleichen Teilen
wiederspiegelt. Unter “Wiederherstellung“ subsu- mieren sich somit
klassische Aktivitäten wie Mission, Evangelisation, Diakonie und
Einsatz der Charismen (Gnaden- bzw. Geistesgaben); Wiederher- stellung beinhaltet
aber eben auch das, was neumodern mit
“Gesell- schaftstransformation“oder “missionalem Leben“ bzw. Mottos wie “Großzügigkeit und Gerechtigkeit“
bezeichnet wird. Solch ein Verständnis des Kerns des Evangeliums
besitzt damit meiner Ansicht nach auch die Kraft, konfessionelle
Unterschiede zu über- winden und möglichst viele Errungenschaften der
unterschiedlichen Großkirchen in sich zu vereinen.
Danke.
AntwortenLöschenGern geschehen :-).
LöschenDer Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschen