Kirche als Business? (Social) Entrepreneurship und Kirche im 21. Jahrhundert

Da ich selbst ja seit dem letzten Jahr sozusagen in der Rolle des Gründers unterwegs bin - als Leiter des IGW-Studiencenters in Frankfurt -, habe ich mich in der letzten Zeit auch intensiver mit diversen Business-Büchern auseinander- gesetzt. Eins davon ist Günter Faltins “Kopf schlägt Kapital. Eine ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen. Von der Lust, ein Entrepreneur zu sein“ (München: DTV, 4. Aufl. 2013). Faltin selbst hat als Professor für Unternehmensgründung (FU Berlin) u.a. die Teekampagne gegründet, die in kürzester Zeit aufgrund ihres inno- vativen Ansatzes zum weltweit größten Importeur von Darjeeling-Tee mutiert ist (s. Buch-Rückseite) und deren Entwicklung und Gründungsansatz er in diesem Buch behandelt. Ich möchte nachfolgend ein wenig über das Buch und seinen möglichen Nutzen für die Kirche im westlichen 21. Jahrhundert philosophieren, u.a. deshalb, weil Faltin mit seinem Unternehmensansatz auf dieselben gesellschaftsökonomischen Herausforderungen zu reagieren ver- sucht, denen meiner Ansicht nach auch die Kirche ausgesetzt ist. 

Wie genau stellt sich also dieser gesellschaftsökonomische Umbruch dar? In den letzten Jahren ist in kirchlichen Kreisen viel von “Postmo- derne“ geredet worden, und sicher hängt die Postmoderne auch mit sozioökonomischen Umbrüchen zusammen. Während aber unter dem Diskurs zur Postmoderne v.a. Umbrüche in der Denktradition, in Spiritualität und Jüngerschaft angestoßen werden, fokussiert sich die Auseinandersetzung mit dem sog. “konzeptionellen Zeitalter“ vielmehr auf die konkrete Berufssituation des einzelnen und die damit verbundenen neuen Herausforderungen: 

So gab es im früheren Industriezeitalter klar definierte Jobs samt dazugehöriger Studien- und Ausbildungsgänge, eben passgenau und auf Rest des Lebens angelegt, was jedoch heute nicht mehr so ein- deutig funktioniert. Denn kaum jemand praktiziert noch ein und den- selben Job - womöglich bei demselben Betrieb - bis zur Rente, mit dem er oder sie begonnen hat. Und so öffnen sich gerade im akade- mischen Bereich immer neue Türen und Perspektiven, mit dem Ab- schluss dieser oder jener Arbeit nachzugehen. Und Kreativität spielt eine ganz neue Rolle, wie Daniel Pink schon vor zehn Jahren gezeigt hat, weshalb er seinem Buch gemäß der rechten Gehirnhälfte immer größere Bedeutung zuordnet gegenüber der vorherigen v.a. rationalen Fokussierung. 

Diese Kreativität ist auch, der Faltin eine besondere Rolle beimisst bei der Unternehmensgründung. Und so ist der Entrepreneur für ihn ein ganz anderer Typ von Business-Mensch als der Manager: Wäh- rend der Manager der Bewahrer-Typ ist - also in gewisser funktionaler Nähe zum Pastor -, erfüllt der Entrepreneur die Rolle des Pioniers, der mit jede Menge Idealismus seine Unternehmensidee nach vorne bringt und dafür immer wieder neue, kreative Lösungen finden muss (natürlich auch, um überhaupt zu einer neuer unternehmerischen Idee zu kommen); Faltins konzept-kreativer Ansatz stellt dabei die Idee des Gründers in den Mittelpunkt, lagert möglichst viele Dienst- leistungen aus und bedarf somit i.d.R. keiner größeren Kapitalinve- stitionen. Eine Gewisse inhaltliche Nähe vom Entrepreneur zum Ge- meindegründer ist damit gegeben, der Kirche fürs 21. Jahrhundert neu erfinden muss, um die post-christliche Gesellschaft der (nicht nur) westlichen Welt zu erreichen. Dieser Vergleich wird besonders dann ersichtlich, wenn es sich auch noch um sog. “social entrepre- neurship“ handelt, die unternehmerische Idee also nicht rein markt-orientiert ist, sondern soziale Zwecke erfüllt und trotzdem Kapital abwirft.

Zwar sind die Großkirchen mit teilweise riesigen Ländereien und/oder Immobilien schon “immer“ eigenständige Wirtschaftsunternehmen gewesen. Die Grenze zwischen der als Verein geführten Ortskirche als Non-Profit-Unternehmen war bis dato jedoch von dem Profit-orien- tierten Bereich klar getrennt. Hier und da gab es vereinzelt zwar Chri- sten, die als Individuen sozialunternehmerisch aufgestellte Betriebe führten, aber die stehen natürlich lediglich als Privatpersonen dort. Neu für mich ist nun aber, wie immer präsenter wirtschaftliche Ansät- ze und entrepreneur-mäßiges Denken auch in Kirchen Einzug nimmt, was u.a. damit zusammenhängen dürfte, dass Innovation und die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit resp. Lösungen bei sozialen Nöten zusammentreffen; und auch bei der Suche nach Ergänzun- gen zu Spendengeldern ist dieser Weg interessant, zumal die Ver- marktung über eine gut vernetzte Gemeindeplattform hilfreich sein kann. Ein gutes Beispiel in dieser Richtung ist die Kirche in Aktion, die an mittlerweile etwa zwei Dutzend Standorten im gesamten Rhein-Main-Gebiet auf kreative Art und Weise ambitioniert ist, ein Stückchen Himmel auf Erde zu bringen, bspw. durch das Café “Awake“, dessen Slogan “Social Coffee Company“ lautet.  

“Kirche als Business, darf das denn sein?“ wird sich mancher fragen, und gerade die erste Jerusalemer Gemeinde mit ihrer Gütergemein- schaft scheint, diesen Weg gerade nicht gegangen zu sein (vgl. Apg 2,44f.; 4,32). Aus biblischer bzw. theologischer Perspektive habe ich dabei bislang aber keine prinzipiellen Bedenken, denn:


  1. Anthropologisch betrachtet, ist der Mensch laut Gen 1,28 als Ebenbild des Schöpfergottes selbst erschaffen und damit gemacht, um auch wieder Neues zu erschaffen. Was ist eine kreative Business-Idee zur Lösung sozialer Probleme anderes, als genau dem nachzugehen? Und wenn dadurch auch noch Gelder akquiriert werden für weitere soziale Projekte, die ansonsten durch Spenden abgedeckt hätten werden müssen, finde ich das äußerst fortschrittlich.
  2. Auch soteriologisch ist soziale Start-Up-Mentalität aus meiner Sicht wünschenswert, weil durch soziale Unternehmungen Gottes Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit ein Stückchen realer in dieser Welt (jenseits der Kirchenmauern) umgesetzt werden kann.
  3. Ekklesiologisch-missional: Damit wächst die Kirche jenseits ihrer traditionellen Formate hinein in die Gesellschaft, hat Einfluss und kann gleichzeitig bei Gewinnen wiederum andere soziale Projekte fördern.

Nun bietet IGW und manch anderes Theologiestudium glücklicherweise einiges an Leiterschaftstraining an, das hilfreich ist für jeden (nicht nur) Gemeindeleiter oder -gründer, sondern auch diejenigen, die ein social business starten wollen. Aber bräuchte es nicht darüber hinaus, um dieser gesellschaftsökonomischen Veränderung gerecht zu werden, mehr und mehr Förderung in genau den Bereichen, die Faltin angesprochen hat: Kreativität, konzeptionelles Denken, und einen Blick für ressourcen-sinnvolles (und damit unternehmerisches) Handeln? 



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