Lernen von D. Bonhoeffer, Teil 1: Christus-Erkenntnis und Missionsstrategien

Als ich gestern im Zuge der Vorbereitung einer meiner mündlichen Diplomprüfungen Dietrich Bonhoeffers Christologie-Vorlesung (eine Rekonstruktion aus verschiedenen Mitschriften) zur Hand nahm, war ich mal wieder - wie immer eigentlich bei ihm - sofort inspiriert und fühlte mich in Anbetracht seines tragischen Lebensendes mitgerissen, da bei ihm die Gedankenwelt nie nur trockene Theorie blieb, sondern er vielmehr authentisch das lebte, was er auch theologisch denkend verbreitete. Besonders ein Gedanke fesselte meine Aufmerksamkeit:

"Allein durch das Wort freier Selbstoffenbarung erschließt sich die Person Christi und damit ihr Werk.'' (D. Bonhoeffer, Wer ist und wer war Jesus Christus, Hamburg 1962, S.25)

Was Bonhoeffer hier sagen will, ist zweierlei:

1. Nur Jesus Christus selbst kann sich dem Menschen offenbaren. Damit geht (nach seiner Meinung) jeder Bekehrung eines Individuums zu Gott/Christus bereits die konkrete Offenbarung Christi voraus. Es reiche dagegen nicht, so (oder so ähnlich) sagte er, auf historische Begebenheiten oder das irdische Wirken Jesu von Nazareth zu verweisen, weil damit weder etwas erwiesen noch negiert werden könne (klingt schon beinahe postmodern-relativistisch:-).
Praktisch bedeutet das (für mich), daß wir als Christen niemanden missionieren können oder gar zur Bekehrung anhand bestimmer biblischer Berichte überzeugen können. Denn Christus macht immer den ersten und entscheidenden Schritt, was die persönliche Begegnung angeht. Unser Part ist dagegen, möglichst viele und individuell/kulturell passende Räume zu schaffen, in denen Christus durch den Heiligen Geist dem einzelnen begegnen kann. Das mag das gesprochene Bibelwort sein, wie sich das bei der Begegnung zwischen der Purpurhändlerin Lydia und dem Apostel Paulus in Philippi zugetragen haben mag (Apg 16,14: "Dieser tat der Herr das Herz auf..."). Andere bevorzugen da vielleicht einen eher spirituellen oder enthusiastischen Zugang. Entscheidend ist aber letztendlich, daß wir als Christen nichts produzieren können, was durchaus auch einen gewissen Druck wegnehmen kann.

2. Nur wenn ich Christus erkannt habe, kann ich auch auf sein Werk schließen, was sowohl das irdische Wirken vor der Passion als auch Kreuzigung, Auferstehung und Versöhnung mit Gott betrifft.
In diesem Zusammenhang ist für mich eine Sache besonders wichtig: Wenn ich mich durch die "Emerging Church"-Literatur lese, wird immer wieder ein Aspekt Jesu betont, nämlich der prophetische. Dadurch wird der Fokus solcher theologischer Ansätze besonders auf Dinge wie soziale Gerechtigkeit o.ä. gelegt. Zurecht wird dort kritisiert, daß dieser Aspekt Jesu in den letzten 2000 Jahren Kirchengeschichte zu genüge vergessen worden ist und stattdessen, gerade durch Paulus und Luther gefördert, oftmals das Evangelium auf die Rechtfertigung des Menschen vor Gott und Vergebung der Sünden reduziert wurde.
Nun darf man jedoch aus meiner Sicht auch nicht auf der anderen Seite vom Pferd fallen und fast ausschließlich auf den historischen Jesus und gerade seine prophetischen Aktivitäten schauen. Denn damit würde man das Evangelium geradezu minimieren auf ein bißchen Moral oder soziale Gerechtigkeit. Leider finde ich aber diese Tendenz durchaus auch bei renommierten Lehrern der "Emerging Church" - Szene. Die Konsequenz ist, daß man mit allem und jedem - egal welcher Religion angehörig und sonst wie orientiert - die Welt nach sozialen Maßstäben verbessern will. Das ist prinzipiell auch ein sehr guter Ansatz in einem bestimmten Bereich, zumal ich als Christ sicherlich auch einiges vom Buddhismus oder Islam lernen kann. Dennoch sind Buddha und Mohammed eben nicht von gleicher Art wie Christus. Wenn es uns nicht bloß um Weltverbesserung und eine irgendwie geartete gemeinsame Spiritualität gehen soll, darf sich sowohl unsere Rezeption Christi nicht allein auf den historischen Wirkbereich Jesu von Nazareth beschränken und wir in gleichem Atemzug unser Christsein auf primär zwischenmenschliche Aktivitäten reduzieren, sondern sollten gerade die lebendige Beziehung zu Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist als absolut essentiell ernst nehmen. Das bedeutet dann aber gerade, daß es mir nicht egal sein kann, ob jemand Christus kennen- und lieben lernt oder nicht. Denn das wäre aus meiner Sicht lieblos.

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