Ein Plädoyer für mehr (musikalische) Kreativität und Freiraum in Deutschlands Kirchen

Als ich neulich von einer Probe nach hause ging, wurde mir mal wieder ein Phänomen vor Augen gemalt, dessen ich mir schon des öfteren bewußt werden mußte. Die konkrete Situation war folgende:

Wir wollten einen Song für den nächsten Gottesdienst einproben, von dem es mehrere Versionen gibt, die sogar harmonisch deutlich voneinander variieren. Mein "Stein des Anstoßes" dabei war, daß die ursprüngliche Version harmonisch nicht ganz dem Klischee entsprach, vielleicht nicht ganz so happy, wie man das gewohnt ist. Mit ebendieser Feststellung ging nun ein anderer Musiker hin und veränderte die "anstößigen" Akkorde dahingehend, daß der Song wieder in eins der gebräuchlichen Schemata paßt.

Ähnliches Phänomen, diesmal im Endeffekt umgekehrt, fiel mir bei einer "Cologne-Worship-Night" (mit Lothar Kosse und seiner Band) auf: Seit etwa zwei bis drei Jahren versucht die Band, etwas von dem Mainstream wegzukommen und baut deshalb immer mal wieder den ein oder anderen Instrumental-Part in die Songs ein oder beendet die Songs nicht nach radiotauglichen 3:30min. Die Begründung dafür ist, daß Gott auch mit Instrumental-Musik u.ä. angebetet werden könne.

Wenn man sich die Lobpreis-Tradition der letzten Jahrhunderte ansieht, entsprechen die Musiker der CWN durchaus dem, was in früheren Jahrhunderten die Regel war. Mein Eindruck bei meiner letzten CWN jedoch war, daß die Besucherzahl ziemlich gering erschien im Gegensatz zu den vorherigen Jahren. Wenn ich mir im Gegenzug christliches Radio (z.B. via iTunes) anhöre, erlebe ich, daß neun von zehn der dort gespielten Songs in das bereits erwähnte 3:30min-Schema passen, sich bei den meisten Songs zudem das harmonische Repertoire im wesentlichen auf eine Handvoll immer wieder auftauchender Abfolgen - Kadenzen - zusammenfassen läßt.

Textlich muß ich ähnliches feststellen. Während Martin Luther, Paul Gerhardt oder andere der "alten Haudegen" noch theologisch anspruchsvolle Liedtexte verfaßt haben, läßt sich allzu oft (natürlich nicht immer) der Inhalt eines Textes sinngemäß auf drei Worte reduzieren: "Jesus liebt Dich!"

"Typisch Pop-Musik halt", könnte man jetzt urteilen und das so stehenlassen. Zu Zeiten Luthers und Gerhardts waren deren Vertonung ja ebenfalls dem Mainstream - wenn es denn so etwas wirklich damals gab - zugeordnet. Dagegen habe ich auch prinzipiell nichts. Pop-Musik, sofern sie gut gemacht ist, liegt mir durchaus. Ich liebe es auch, mich bei einem breiten Klangteppich in der Gegenwart Gottes einfach mal fallen zu lassen. Es ergeben sich für mich aber folgende Fragen dazu:
Für wen ist die Musik eigentlich? Soll ich mich als Christ (mal ganz negativ formuliert) von Worship konsumorientiert berieseln lassen und als Musiker auf das "niedrigste" Niveau herablassen, um die Hürde zum Worship-Konsum möglichst gering zu halten, weil ja die Hauptsache ist, daß ich, sei es generell als Christ oder speziell als Musiker - von ganzem Herzen hinter der Sache stehe und Gott erlebe? Oder hat Gott uns nicht auch die musikalischen Möglichkeiten und die Kreativität gegeben, um Ihn mit allem, was wir haben und können, die Ehre zu geben? Dann sollte unser Anspruch generell dahingehend hoch sein, daß wir einerseits als Musiker unser bestes geben, und andererseits auch mal die Möglichkeit haben, den Mainstream zu verlassen, weil es nicht nur darum geht, daß Menschen mitsingen können.

Damit hängt aber generell die Frage nach musikalischer Bildung zusammen. Denn als Christen könnten wir ja, anstatt dem Trend der 3:30min-Pop-Songs hinterher zu laufen, das Musikbusiness mitbestimmen, als Trendsetter öffentlich Einfluß nehmen und dadurch einen neuen Aufschwung im Bereich musikalischer Bildung erreichen.

Was den gesamten Bereich musikalischer Kreativität in Deutschlands Kirchen angeht, könnte ich mir auch gut Abwechslung z.B. durch groovige Loops, Turn-Tables oder ganz anderes Zeug zur Ehre Gottes vorstellen; es muß ja nicht immer die (schon fast traditionell vorhandene) Band performen.

Gerade dieser Punkt könnte unsere Gottesdienste im Sinne von Eph 5,19 bereichern und auflockern, daß nämlich jeder (Musiker) etwas von dem einbringt, was ihm/ihr gerade (musikalisch) auf dem Herzen liegt. Denn: Ist es zwingend notwendig, daß von jedem bei jedem Song mitgesungen werden muß? Nicht jeder ist begabt und/oder interessiert zu singen, Anbetung drückt sich ganz individuell aus und nicht allein durch Musik. Wir sind ja auch nicht bei "die Gemeinde sucht das Super-Talent" o.ä.

Was die Texte angeht, muß man sich zunächst einmal klar darüber werden, wie stark die Gemeinde durch entsprechende Inhalte von Songs geprägt wird. Natürlich hat die Predigt ebenso prägende Funktion. Da Songs aber i.d.R. von Woche zu Woche wiederholt werden, und somit bei den einzelnen Gemeindemitgliedern ein memorierender Effekt auftritt, sollte aus meiner Sicht auf diesem Weg auch gern mehr als lediglich persönliche Erfahrung inhaltlich transportiert werden. Denn nicht jeder liest Bücher oder beschäftigt sich außerhalb des Gottesdienstes mit Inhalten, aber fast jeder mir bekannte Christ hört regelmäßig Lobpreis-Songs. Deshalb erscheint es mir als gute Ergänzung (nicht Alternative), wieder auch vermehrt Theologen zum Verfassen von Songtexten zu ermutigen, ebenso Songwriter zur intensiven Auseinandersetzung mit Theologie.

Mein Resümee über die aktuelle Lobpreis-Szene mag für den ein oder anderen recht negativ klingen. Dies ist jedoch nicht meine Absicht beim Schreiben gewesen, denn ich schätze sehr wohl die vorhandene Lobpreis-Musik (samt Texten) und möchte keinesfalls Demotivation oder gar Frustration erzeugen. Vielmehr geht es mir darum, zu neuen kreativen Ideen zu ermutigen, seien sie musikalischer oder textlicher Art (darüberhinaus gern weitere kreative Elemente). Dies erfordert aber von Seiten der Gemeinden größere Bereitschaft zu Flexibilität derart, daß es nicht nur darum gehen kann, was bei der Gemeinde ankommt. Für ebenso fatal halte ich es, jede einzelne Predigt zu bewerten, wie sie mir gefallen oder was sie mir gebracht hat. Denn damit würde man wieder in eine Konsumhaltung verfallen.

Stattdessen plädiere ich für Freiräume und Mut zum Ausprobieren, weil nur so neue Dinge entstehen können. Es geht mir, um es auf einen Punkt zu bringen, also nicht um Abschaffung dessen, was bereits vorhanden ist, sondern um den Freiraum für Neues, auch wenn - oder vielleicht gerade weil? - es nicht dem Klischee entspricht.

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