Gedanken zur paulinischen Theologie, Teil I: Die Rechtfertigungslehre im Galaterbrief

Als ich gerade in N.T. Wrights Buch "Paul. In fresh perspective" las, fand ich eine sehr interessante Interpretation zu einer der zentralen Stellen des Galaterbriefes, dem sog. "antiochenischen Zwischenfall" samt nachfolgender Rechtfertigungslehre. Die konkrete Stelle ist die folgende:

In Gal 2,11-14 befindet sich der "antiochenische Zwischenfall", bei dem Petrus von Paulus dahingehend zurechtgewiesen wird, daß er beim Besuch der antiochenischen Gemeinde zunächst noch mit Heiden gegessen hat, beim Eintreffen einiger Juden sich aber von ersteren absondert (als "richtiger" Jude durfte man nämlich nicht mit Heiden essen).

Daran anschließend formuliert Paulus folgende Sätze (ich habe versucht, den Bibeltext an N.T. Wrights Interpretation anzupassen):

"Wir sind von Geburt Juden und nicht Sünder aus den Heiden. Doch weil wir wissen, daß der Mensch durch Werke der Torah nicht gerecht wird, sondern durch die Vertrauenstat (engl.: "faithfulness") Jesu dem Messias (= Christus), sind auch wir zum Glauben an den Messias Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an den Messias und nicht durch Werke der Torah; denn durch Werke der Torah wird kein Mensch gerecht." (Gal 2,15-16)

N.T. Wright merkt dazu folgende Punkte an (S.111f.):
  1. Der "Glaube Christi" (gr. pistis Christu) in V.15 meint nicht unser Vertrauen bzw. unseren Glauben an Christus, sondern vielmehr seine Vertrauenstat an den göttlichen Plan für Israel (Christus ersetzt dabei das, was eigentlich Israel für die Welt hätte vollbringen sollen, nämlich Licht und Heil für die Welt zu sein). Philologisch korrekt ausgedrückt ist Christus nicht Objekt des Glaubens/der Vertrauenstat - also an wen geglaubt wird -, sondern er ist stattdessen Subjekt und damit Handelnder der Vertrauenstat (an Israel statt).
  2. Das Ergebnis des "Gerecht Werdens" (V.15 & 16) ist nicht das klassische Christwerden. Stattdessen zielt es ab auf die Teilhabe am Gottesvolk.
  3. Damit eng verbunden fungieren die "Werke der Torah" nicht als Zugang zur Mitgliedschaft des Gottesvolkes, sondern als äußeres Zeichen, daß Du Mitglied bist.
Weil Jesus getan hat, was Israel nicht tat (oder konnte), und wir als an Christus Gläubige die Teilhabe am Gottesvolk - das selbstverständlich nicht mehr auf die ethnische Größe Israel beschränkt ist - dadurch erlangen, daß wir mit Christus gekreuzigt sind (in Röm 6 wird dies an die Taufe geknüpft), teilen wir auch mit Christus das neue Leben. Das Volk Gottes ist damit unwiderruflich auf alle Völker ausgedehnt - soweit sie gläubig werden, wodurch auch die äußeren Bundeszeichen des alten Bundes mit der ethnischen Größe Israel (Beschneidung, Torah-Gehorsam) hinfällig werden.

Wenn aber Petrus als Jude durch die Absonderung von den Heiden die Trennung beider wieder errichtet, indem er den alten Bundeszeichnen Gehorsam schenkt, verwirft er, so Wright, die Gnade Gottes (S.113). "Gerechtigkeit" (gr. dikaiosyne) bedeutet somit nichts anderes als die Zugehörigkeit zu Gottes Bundesvolk.

Wright sieht im folgenden 3. Kapitel des Galaterbriefes diese Auslegung bestätigt und findet seinen Höhepunkt in den Versen 26-28:

"Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in dem Messias Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer im Messias Christus."

Mir persönlich erscheinen durch diese Deutung N.T. Wrights einige Passagen des Galaterbriefes und darüberhinaus der gesamten Israel-Christenheit-Problematik klarer, auch wenn sicherlich philologisch nicht alles eindeutig ist. Werde mit den Gedanken mal weiter in die nächste Zeit gehen und bin gespannt, ob sich mir noch mehr Geheimnisse in paulinischer Theologie durch Wrights Lektüre aufschließen werden.

Wenn Wright mit seiner Deutung recht hat, könnten sich mir endlich die Sakramente der Taufe und des Abendmahles - als äußere Zeichen der Bundeszugehörigkeit - besser erschließen. Denn bislang dachte ich immer, ich müßte beim Vollzug entweder direkt etwas empfinden oder zumindest mir die Kreuzestat Jesu erneut vor Augen malen. Doch nun könnte ich es ebenso als Zeichen der Bundeszugehörigkeit für mich annehmen (nicht, daß das eine das andere ausschließen würde). Zudem müßte man sich fragen, ob wir uns nicht etwas entfernen sollten von dem individualistisch - persönlichen Gerechtsein vor Gott zu einem mehr kollektiven "wir" vor Gott und für die Welt. Besonders letzterer Punkt bedarf weiterer Gedanken und Konkretionen. Ich bin gespannt...

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