Lernen von Dietrich Bonhoeffer, Teil 6: Ein Plädoyer für eine alternative Theologenausbildung
"An die Universität glaube ich nicht mehr, habe ja eigentlich nie daran geglaubt - zu ihrem Ärger. Die gesamte Ausbildung des Theologennachwuchses gehört heute in kirchlich-klösterliche Schulen, in denen die reine Lehre, die Bergpredigt und der Kultus ernstgenommen werden - was gerade alles drei auf der Universität nicht der Fall ist und unter gegenwärtigen Umständen unmöglich ist. Es muß auch endlich mit der theologisch begründeten Zurückhaltung gegenüber dem Tun des Staates gebrochen werden - es ist ja doch alles nur Angst." - Dietrich Bonhoeffer, DBW 13, S.204f.
Dietrich Bonhoeffer, einer der Top-Theologen seiner Zeit (promoviert mit 21 Jahren, habillitiert mit 24 Jahren), war geradezu prädestiniert für einen Lehrstuhl. Diese Option zog er tatsächlich immer wieder in Betracht, ja war förmlich am Ringen mit ihr, distanzierte sich aber doch innerlich immer mehr und mehr vom klassischen universitären Betrieb, sei es begründet durch ein steigendes kirchliches Interesse oder auch eine Enttäuschung über eine Vielzahl an Professoren, die sich während der NS-Zeit nicht entschieden gegen das Regime abgrenzten.
Unglücklicherweise fand Bonhoeffer ebensowenig Rückhalt und eine entschiedene Opposition gegen die "Deutschen Christen" (arisches Evangelium, etc.) und das Hitler-Regime innerhalb der deutschen evangelischen Kirche. Denn sowohl seine Gedanken über den rechten Glauben (Bonhoeffer war einer der ersten, der sich 1933 entschieden gegen einen Antisemitismus aussprach; vgl. E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, Gütersloh 2005, 9. Auflage) als auch über das rechte Leben als Christen - mit seinem Höhepunkt in der "Nachfolge" von 1937 (= DBW 4) - schien für die damalige Volkskirche zu krass und radikal zu sein - und für die Heutige offenkundig ebenso. Tatsächlich ging es ihm nämlich bei Schlagworten wie "Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt" (DBW 4, S.52) u.a. um "Teilhabe am stellvertretenden Leiden Christi" (Bethge, S.522) oder auch einen für Lutheraner damaliger Zeit geradezu konspirativ-wirkenden Pazifismus, wie man ihn heutzutage z.B. bei Leuten wie Shane Claiborne findet.
Immerhin erhielt Bonhoeffer ab 1935 als Studienleiter eines Predigerseminars in Pommern die Möglichkeit, mit seinen Studenten o.g. Gedanken zu teilen und zu leben. Es fand somit eine Mischung aus theologischem Nachdenken und Lebenstransformation statt. Er konnte endlich die Kombination von Leben und Lehre als die einzig legitime Form von Glauben kommunizieren.
Als ich all dies von und über Bonhoeffer las, kam ich mal wieder ins Grübeln. Denn mit dem o.g. Statement spricht er aus meiner Sicht etwas ganz Zentrales an, was ich selbst auch so erlebt habe und bei vielen beobachte: Ein Universitätsstudium (oder äquivalentes Bibelschulstudium) verändert nicht notwendigerweise mein eigenes Leben und macht mich nicht zu einem verantwortungsbewußten Gemeindeleiter. Wenn wir für diese Generation Theologen und Leiter ausbilden wollen, die nicht nur mit Head-Knowledge gefüttert sind, brauchen wir eine enge Verknüpfung von Theorie, Praxis und Nachfolge, also ein ganzheitliches Studium. Selbst bei Leuten mit einem sehr starken Interesse für Lehre reicht es nicht aus, sich lediglich mit Büchern und deren Inhalten zu beschäftigen.
Jesus, unser Vorbild von Lehrer und Leiter, hat es ganz ähnlich gemacht. Denn seine oberste Priorität war Jüngerschaft und damit Nachfolge mit keinem geringeren Ziel als das ihm ähnlich Werden. Deutlich formuliert wird dies z.B. im Missionsbefehl (Mt 28,19): "Machet zu Jüngern...!" Damit wird wiederum zweierlei deutlich: 1. Bonhoeffer folgt niemand anderem als Jesus selbst, 2. müssen wir zurück zum jüdischen Background unserer geistlichen Wurzeln. Denn u.a. durch den griechischen Einfluß auf die Kirche und die Scholastik im Mittelalter ist leider oft die Lehre von der Nachfolge abgekapselt worden. Es ging zu oft mehr um philosophische Erkenntnis einer abstrakten Wahrheitsfrage denn um reales Leben, Nöte, usw. (pauschal beschrieben). Die jüdische Tradition dagegen, in der Jesus lebte, verband beides miteinander.
Folgende zwei Seiten (der einen Medaille) scheinen mir derzeitig am grundlegendsten zu sein (die Bonhoeffer im Zitat oben auch anschneidet):
Dietrich Bonhoeffer, einer der Top-Theologen seiner Zeit (promoviert mit 21 Jahren, habillitiert mit 24 Jahren), war geradezu prädestiniert für einen Lehrstuhl. Diese Option zog er tatsächlich immer wieder in Betracht, ja war förmlich am Ringen mit ihr, distanzierte sich aber doch innerlich immer mehr und mehr vom klassischen universitären Betrieb, sei es begründet durch ein steigendes kirchliches Interesse oder auch eine Enttäuschung über eine Vielzahl an Professoren, die sich während der NS-Zeit nicht entschieden gegen das Regime abgrenzten.
Unglücklicherweise fand Bonhoeffer ebensowenig Rückhalt und eine entschiedene Opposition gegen die "Deutschen Christen" (arisches Evangelium, etc.) und das Hitler-Regime innerhalb der deutschen evangelischen Kirche. Denn sowohl seine Gedanken über den rechten Glauben (Bonhoeffer war einer der ersten, der sich 1933 entschieden gegen einen Antisemitismus aussprach; vgl. E. Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, Gütersloh 2005, 9. Auflage) als auch über das rechte Leben als Christen - mit seinem Höhepunkt in der "Nachfolge" von 1937 (= DBW 4) - schien für die damalige Volkskirche zu krass und radikal zu sein - und für die Heutige offenkundig ebenso. Tatsächlich ging es ihm nämlich bei Schlagworten wie "Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt" (DBW 4, S.52) u.a. um "Teilhabe am stellvertretenden Leiden Christi" (Bethge, S.522) oder auch einen für Lutheraner damaliger Zeit geradezu konspirativ-wirkenden Pazifismus, wie man ihn heutzutage z.B. bei Leuten wie Shane Claiborne findet.
Immerhin erhielt Bonhoeffer ab 1935 als Studienleiter eines Predigerseminars in Pommern die Möglichkeit, mit seinen Studenten o.g. Gedanken zu teilen und zu leben. Es fand somit eine Mischung aus theologischem Nachdenken und Lebenstransformation statt. Er konnte endlich die Kombination von Leben und Lehre als die einzig legitime Form von Glauben kommunizieren.
Als ich all dies von und über Bonhoeffer las, kam ich mal wieder ins Grübeln. Denn mit dem o.g. Statement spricht er aus meiner Sicht etwas ganz Zentrales an, was ich selbst auch so erlebt habe und bei vielen beobachte: Ein Universitätsstudium (oder äquivalentes Bibelschulstudium) verändert nicht notwendigerweise mein eigenes Leben und macht mich nicht zu einem verantwortungsbewußten Gemeindeleiter. Wenn wir für diese Generation Theologen und Leiter ausbilden wollen, die nicht nur mit Head-Knowledge gefüttert sind, brauchen wir eine enge Verknüpfung von Theorie, Praxis und Nachfolge, also ein ganzheitliches Studium. Selbst bei Leuten mit einem sehr starken Interesse für Lehre reicht es nicht aus, sich lediglich mit Büchern und deren Inhalten zu beschäftigen.
Jesus, unser Vorbild von Lehrer und Leiter, hat es ganz ähnlich gemacht. Denn seine oberste Priorität war Jüngerschaft und damit Nachfolge mit keinem geringeren Ziel als das ihm ähnlich Werden. Deutlich formuliert wird dies z.B. im Missionsbefehl (Mt 28,19): "Machet zu Jüngern...!" Damit wird wiederum zweierlei deutlich: 1. Bonhoeffer folgt niemand anderem als Jesus selbst, 2. müssen wir zurück zum jüdischen Background unserer geistlichen Wurzeln. Denn u.a. durch den griechischen Einfluß auf die Kirche und die Scholastik im Mittelalter ist leider oft die Lehre von der Nachfolge abgekapselt worden. Es ging zu oft mehr um philosophische Erkenntnis einer abstrakten Wahrheitsfrage denn um reales Leben, Nöte, usw. (pauschal beschrieben). Die jüdische Tradition dagegen, in der Jesus lebte, verband beides miteinander.
Folgende zwei Seiten (der einen Medaille) scheinen mir derzeitig am grundlegendsten zu sein (die Bonhoeffer im Zitat oben auch anschneidet):
- Theologie zielt letzten Endes immer auf Beziehung mit Gott und Nachfolge Jesu. Sie sollte aus meiner Sicht sogar eine persönliche Form von Anbetung Gottes sein, wie dies andernfalls vielleicht durch Musik oder Gebet geschieht. Sie läßt mich nicht unberührt, denn in der Begegnung mit Gott passiert immer notwendigerweise Veränderung.
- Jede Theologie, die auf der Bibel bzw. Jesus selbst und seinem Anspruch auf Jünger-Machen fußen will, muß an irgendeinem Punkt auch praktische Relevanz für Kirche und Welt haben. Falls nicht, betreibt man sie lediglich fürs Bücherregal.
Eine Zeit lang habe ich tatsächlich darüber nachgedacht, wie es wäre, das gesamte theologisch-universitäre Ausbildungssystem nach o.g. Maßstäben zu reformieren. Mittlerweile bin ich aber davon überzeugt, daß das Uni-System an sich nicht dafür gemacht ist, Theologen und Leiter auszubilden. Das fängt mit den Inhalten an, hört aber spätestens bei ihrer genuinen Praxisferne auf: Es läßt sich nicht jemand theoretisch auf die Praxis vorbereiten! Stattdessen erscheint mir folgendes sinnvoll: Eine Verknüpfung von guter Theorie (durch theologische Lehrer, die der Praxis alles andere als fern sind) und praktischer Ausbildung innerhalb der Gemeinden (mittels Mentoring, Seelsorge, Persönlichkeitsentwicklung, etc.), wie es z.B. schon von Ausbildungsstätten wie dem "Institut für Gemeindebau und Weltmission" (IGW) oder auch der "Akademie für Leiterschaft" (AfL) angeboten wird. Dort wird an einigen Tagen pro Woche (gemeinsam) ein Pensum an Theorie bewältigt, das i.d.R. neben den klassisch-theologischen Disziplinen (AT, NT, KG, ST, PT) auch solche Kurse beinhaltet, die tatsächlich für die Gemeindepraxis sinnvoll und hilfreich sind, wie "Gemeindebau im 21.Jh." oder auch Inputs zu kulturrelevanten Themen. Daneben sind die Studenten in ihrer Gemeinde beschäftigt und werden in der Praxis für die Praxis geschult und dürfen sich ausprobieren.
Als Bonhoeffer obiges Zitat formulierte, war er schon mittendrin im Kirchenkampf. Ihm war klar, daß die Verknüpfung von Beziehung zu Gott, der theologischen Schulung und dem eigenen Charakter maßgeblich für den Theologen war, der sich innerhalb dieses Kirchenkampfes zu positionieren hatte. Sicherlich mag auch seine Zeit einen wesentlichen Einfluß auf ihn gehabt haben. Aber in Zeiten von Mißbrauchsskandälen u.v.m. sollte die Einheit von Leben und Lehre das A und O sein, um authentisch Kirche in dieser Welt zu leben und zu repräsentieren.
Um zukünftige Leiter dieser möglichst authentischen Kirche auszubilden, sind Ausbildungsstätten wie das IGW oder die AfL von unschätzbarem Wert, und ich wünsche mir, daß zukünftig noch wesentlich mehr theologische Ausbildungsstätten diesen zwei Vorbildern folgen, und daß ganze kirchliche Bünde an solch einer Ausbildungsstätte ihre Leiter ausbilden lassen. Sicherlich sind auch dort noch an vielen Stellen Verbesserungen möglich, aber die ersten wesentlichen Schritte sind dort mit der Verknüpfung von Theorie und Praxis gegangen. Dietrich Bonhoeffer hat wieder einmal gezeigt, wie innovativ er schon gedacht hat und daß es sich immer wieder lohnt, sich mit seiner Person und seinem Werk auseinanderzusetzen.
Als Bonhoeffer obiges Zitat formulierte, war er schon mittendrin im Kirchenkampf. Ihm war klar, daß die Verknüpfung von Beziehung zu Gott, der theologischen Schulung und dem eigenen Charakter maßgeblich für den Theologen war, der sich innerhalb dieses Kirchenkampfes zu positionieren hatte. Sicherlich mag auch seine Zeit einen wesentlichen Einfluß auf ihn gehabt haben. Aber in Zeiten von Mißbrauchsskandälen u.v.m. sollte die Einheit von Leben und Lehre das A und O sein, um authentisch Kirche in dieser Welt zu leben und zu repräsentieren.
Um zukünftige Leiter dieser möglichst authentischen Kirche auszubilden, sind Ausbildungsstätten wie das IGW oder die AfL von unschätzbarem Wert, und ich wünsche mir, daß zukünftig noch wesentlich mehr theologische Ausbildungsstätten diesen zwei Vorbildern folgen, und daß ganze kirchliche Bünde an solch einer Ausbildungsstätte ihre Leiter ausbilden lassen. Sicherlich sind auch dort noch an vielen Stellen Verbesserungen möglich, aber die ersten wesentlichen Schritte sind dort mit der Verknüpfung von Theorie und Praxis gegangen. Dietrich Bonhoeffer hat wieder einmal gezeigt, wie innovativ er schon gedacht hat und daß es sich immer wieder lohnt, sich mit seiner Person und seinem Werk auseinanderzusetzen.
Sehr interessanter und informativer Artikel. DAnke schön!
AntwortenLöschenGern geschehen. Hast Du es zufällig ähnlich erlebt oder stehst gerade vor der Wahl, wo Du studieren möchtest? Oder einfach reines Interesse? Viele Grüße,
AntwortenLöschenPhilipp
Vergessen zu schreiben habe ich, daß es im Master-Bereich, also als ein "Upgrade" des Bachelors, von einer ganzen Reihe theologischer Ausbildungsstätten bereits ein Teilzeitprogramm angeboten wird, daß teilweise inhaltlich mit einem konkreten Praxis-Projekt verbunden ist. Besonders erwähnt sei neben anderen der wirklich innovative Studiengang "Gesellschaftstransformation/Transforming Studies" am Marburger Bibelseminar (MBS).
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