Endlich geschafft: Die 750 Seiten Walter Brueggemann - "Theology of the Old Testament"

Nach einigen Monaten habe ich endlich die dicke Theologie von Walter Brueggemann geschafft. So gut der Inhalt auch ist, nun bin ich doch auch froh, den Wälzer erstmal weglegen auf meiner To-Do-Liste abhaken zu können (so funktioniere ich:-).

Zum Inhalt: Walter Brueggemann, emeritierter Professor vom
Columbia Theological Seminary in Georgia, ist einer der renommiertesten amerikanischen Alttestamentler und wird ebenso gern immer wieder in Publikationen aus dem "Emerging Church Movement" zitiert bzw. erwähnt. Dafür gibt es einige Gründe, die ich im folgenden kurz nennen möchte und an denen sich seine Theologie auch gut erläutern läßt.
1. Die Hermeneutik. Brueggemann führt auf den ersten 114 Seiten seiner Theologie die Entwicklung der Alttestamentlichen Theologie seit der Reformation auf. Mir persönlich leuchtet einmal mehr ein, daß keine Theologie im "luftleeren Raum" entsteht:
"It is of great importance for a student of Old Testament theology to notice that in every period of the discipline, the questions, methods, and possibilities in which study is cast arise from the sociointellectual climate in which the work must be done." (S.11)
Er selbst schlägt dabei einen dritten Weg zwischen klassischer historisch-kritischer Exegese, die seiner Meinung nach "tends to yield a minimalist or skeptical account of the matter" (S.62), und einer "canonical perspective" vor, deren Hauptvertreter Brevard Childs als Voraussetzung des Verstehens "the Rule of Faith" betont, dessen Brauchbarkeit Brueggemann aufgrund theologischer Engführung und Reduktionismus deutlich infrage stellt (S.92). Dieser dritte Weg zeichnet sich u.a. dadurch aus, daß er die Rhetorik und damit die Texte selbst als Zeugnisse betrachtet, ähnlich wie bei einem Gerichtsprozeß, der anhand von Angeklagten, Zeugen und Gegenzeugen funktioniert (S.64ff.). Ohne historisch-kritische Ergebnisse per se außen vor zu lassen oder auch zu früh vom Neuen Testament her zu lesen, kann er die biblische Darstellung z.B. als Drama bezeichnen:
"This means that Yahweh is not subject to the norms of critical inquiry, nor to the expectations and categories of classical theology in its commitment to essence. Yahweh is subject only to the rules of the drama itself, in which hearers of the text are invited to participate at second hand." (S.69)
2. Brueggemann hat ein Herz für soziale Gerechtigkeit, das merkt man ihm beim Lesen seiner Theologie auf fast jeder Seite an. Daß auch er natürlich nicht völlig objektiv Theologie betreibt, ist ihm selbst bewußt, obwohl ich persönlich - gerade auch im Vergleich mit anderen Theologien - nicht den Eindruck habe, daß er damit ungesund einseitig wird, wenn er z.B. im Schlußkapitel seiner Theologie zusammenfassend formuliert:

"Theological interpreters of the Old Testament at the end of the twentieth century must, in my judgement, pay primal attention to this irreducible claim of justice, which is, in the most abrasive parts of the testimony, a demanding summons even to Yahweh." (S.740)

3. Zum
Aufbau. Da Brueggemann wert auf die Berücksichtigung der differenzierten Augenzeugenschaft innerhalb des Alten Testaments legt, behandelt er ebenso Texte, die normalerweise nicht dem Main-Stream entsprechen, was sich anhand der Hauptteile seiner Theolgoe deutlich erkennen läßt:
  • Part I: Israel's core testimony
  • Part II: Israel's countertestimony
  • Part III: Israel's unsolicited testimony
  • Part IV: Israel's embodied testimony
  • Part V: Prospects for theological interpretation
Da Brueggemanns Ansatz besonders auf die Rhetorik fokussiert ist, legt er wert auf die sprachliche Ebene und analysiert v.a. in Part I Verben, Adjektive und Substantive, die für die Beschreibung Gottes charakteristisch sind. Dies ist aus meiner Sicht einer der Stärken seiner Theologie, daß zentrale Wort aus dem hebräischen Kontext erklärt werden (sie werden in Umschrift aufgeführt und dann erläutert, was den Gebrauch auch für Nicht-Hebraisten möglich machen dürfte). In den anderen Teilen (Part V ausgenommen) tauchen diese Erläuterungen auch immer wieder auf, wenn auch nicht in solch einer Intensität wie in Part I. Bereits hier im ersten Teil wird deutlich, daß Brueggemann nicht abstrakt von Gott sprechen kann oder will. Gott ist für ihn genuin "God-in-relation".
Part II setzt sich im Gegensatz zum ersten Teil mit teils unbeliebten Themen auseinander wie "the hiddenness of God", "ambiguity and the character of God" oder "God and negativity". Das bedeutet, daß auch gerade die eher unbeliebten Stellen des Alten Testaments nicht ausgelassen werden und stattdessen bewußt zur Sprache kommen.

Diese Vielschichtigkeit der Aussagen über Gott und seinen Charakter werden auch nicht in
Part III übersprungen, wenn es primär um die Partnerschaft Gottes geht. Denn hier werden neben Israel und dem Individuum auch die Völker (Heiden) und die Schöpfung miteinbezogen, was gerade im ersteren Fall natürlich prompt die Frage nach der Erwählung Israels und seiner Exklusivität aufwirft.
Part IV behandelt die Mittlerschaft zwischen Gott und Israel bzw. dem Menschen. Dabei werden folgende Mittler abgehandelt: Torah, König, Prophet, Kult, und Schriftgelehrter/Weise.

Im letzten
Part V wird der Blick noch einmal auf die Hermeneutik gerichtet, wenn es um die Perspektiven alttestamentlicher Theologie im pluralistischen Kontext geht. Brueggemann plädiert für die Auseinandersetzung damit in zwei Bereichen, 1. dem Akademischen, dem er sich selbst verpflichtet fühlt, und 2. dem Kirchlichen. Beide Bereiche ergänzen und brauchten sich seiner Ansicht nach (S.709f.).

Die Frage nach der Möglichkeit alttestamentlicher Theologie im pluralistischen Kontext bejaht Brueggemann grundsätzlich. Sie dürfe dabei aber weder reduktionistisch noch einschränkend sein, wenn sie damit versuche, das Alte Testament lediglich aus Sicht des Neuen Testaments zu lesen und auf dies zu reduzieren. Stattdessen bleibe alttestamentliche Theologie "an ongoing, contested conversation about the character of Yahweh." (S.717)

Um die Frage des Sinnes nach der Auseinandersetzung mit alttestamentlicher Theologie zu beantworten, wirft Brueggemann den terminus des "military consumerism" ein. Diesem stehe das Zeugnis Israels entgegen, welches eine "invitation to community testifies" (S.720). Er schafft somit auch den Transfer in die Gegenwart, in der Konsum und Individualismus stärker vorherrschen denn je.

Insgesamt überzeugt mich die "Theology of the Old Testament" von Walter Brueggemann auf ganzer Linie. Besonders in Ergänzung zu einer anderen, eher klassisch historisch-kritischen Theologie, wird ihr Wert deutlich, da Brueggemann es schafft, einerseits den Bereich der Religionsgeschichte ernst zu nehmen, andererseits eine Sensibilität für den Text und seine Intention zu entwickeln. Klassische Bibelstellen bzw. Themen wie Messiasverheißungen oder Totenauferstehung werden dabei ebenso abgedeckt wie die Frage nach Leid oder Ungerechtigkeit.

Kommentare

  1. Danke für den Post. Habe richtig Lust auf Walter Brueggemann bekommen...

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  2. Gern geschehen. "Prophetic imagination" von Brueggemann ist ebenfalls total super und von der Seitenzahl wesentlich überschaubarer.

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  3. Gut, dann fange ich damit mal an! :)
    Gibt es auch schon was auf deutsch?

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  4. Habe gerade mal bei Amazon geguckt und nur folgendes gefunden:
    http://www.amazon.de/Polyphonie-Einbildungskraft-Aufs%C3%A4tze-Theologie-Testaments/dp/3631526385/ref=sr_1_11?ie=UTF8&s=books&qid=1270030918&sr=8-11.

    Es wäre aber mal eine echte Bereicherung, Sachen von ihm zu übersetzen. Er kommt mir on vielem wie das alttestamentliche Pendant zu NT Wright vor. Und von dem gibt es ja leider auch nicht allzu viel auf deutsch. Echt schade! Umso gespannter bin ich auf Euren Studientag im kommenden Jahr.

    Viele Grüße

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