Paulus und Ökumene

Als ich gestern eine Sekundärliteratur zum Römerbrief las, kam ich u.a. auf das Thema von Röm 9-11 - die "Zuverlässigkeit des Wortes Gottes" (Michael Theobald, er Römerbrief, Darmstadt 2000, S. 260) -, die nach Aussage des Autors der Höhepunkt des gesamten Briefes sei.

Gern wird der Römerbrief in protestantischen Kreisen ja aufgrund seiner Rechtfertigungslehre - daß der Glaube an Christi Kreuzestod und seine Auferweckung allein zur Rechtfertigung vor Gott genüge und keine noch so gute Tate stattdessen diese Rechtfertigung herbeiführen könne - zurate gezogen. Damit endet für die meisten gedanklich der Römerbrief auch nach Kapitel 8 - alles weitere scheint, lediglich sekundäres "Geplänkel" zu sein.


Dem widerspricht der Autor, Michael Theobald, auch nicht grundsätzlich, jedoch sieht er diese Rechtfertigungslehre in einem größeren Kontext. Denn das Grundanliegen des Paulus scheint zunächst einmal das zu sein, daß er eine Beziehung zu den ihm bisher unbekannten Christen in Rom aufbauen möchte, um auf Basis dieser Beziehung als Apostel der Heiden anerkannt zu werden (Röm 1,5f.13-15; 15,15f.).

Dabei verrät Paulus in Röm 15,22ff. sein übergeordnetes Ziel: Er will, nachdem er seinen Missionsdienst in den bisherigen Ländern (vgl. Gal 1) als abgeschlossen ansieht, nach Spanien reisen, um dort das Evangelium zu verkünden. Die Christen in Rom scheint er als eine Art "Operationsbasis" für seine Spanienmission gewinnen zu wollen (vgl. Theobald, a.a.O., S. 40). Dazu ist es jedoch zunächst einmal von Nöten darzulegen, was er selbst eigentlich genau unter"Evangelium" versteht.

Und an diesem Punkt beginnt die Sache, spannend zu werden. Die paulinische Grundaussage wird bereits in Röm 1,16f. formuliert und dabei meist auf den rechtfertigende Glauben reduziert:

"Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben zu Glauben; wie geschrieben steht (Hab 2,4): ,Der Gerechte wird aus Glauben leben.'"

Nun ist aber dezidiert davon die Rede, daß das Evangelium als "Kraft Gottes" zunächst die Juden und dann die Griechen/Heiden selig macht. Und eben diese Dialektik zwischen Juden und Heiden - zu letzteren wir Christen als Nicht-Juden ja gehören - ist DAS Thema des Römerbriefes, und zwar unter der Fragestellung, inwiefern Gottes erwählendes Wort, das doch zunächst dem jüdischen Bundesvolk zugesagt wurde, noch gilt (Röm 9,6), zumal ein Großteil der Juden dieses Evangelium, daß nämlich der Glaube an Jesus Christus selbst allein rechtfertigende Kraft hat, ablehnt.


Konkret: Es steht nichts geringeres auf dem Spiel als die
Zuverlässigkeit Gottes selbst. Paulus versucht deshalb in dem ganzen Brief nachzuweisen, daß Gott einerseits sein Volk, die ethnische Größe Israel, nicht verworfen aber gleichzeitig die Heiden - aus Gnade - mit in sein Evangelium hineingenommen hat. Deshalb ist Röm 9-11 der Höhepunkt des ganzen Briefes.

Man könnte an dieser Stelle sicherlich noch enorm viel an Details hinzufügen. Was mich persönlich so fasziniert und in wirkliche Ehrfurcht versetzt hat, ist folgendes: Gottes Evangelium beinhaltet die Tatsache, daß ebenso Heiden - also auch ich - mit eingeschlossen sind in Seine Gnade. Viel zu häufig habe ich dieses Faktum für selbstverständlich genommen. Aber als ich dies gestern in dieser Deutlichkeit las, überkam mich wirklich eine tiefe Ehrfurcht vor der Gnade Gottes. Es ist offenkundig nicht selbstverständlich, daß ich ein Kind Gottes sein darf.


Desweiteren beflügelte mich dieser Einheitsgedanke von Juden und Heiden, auch über andere Ökumene nachzudenken. Leider geht es mir doch viel zu oft nur um meine eigene kleine Gemeinde, ohne daß ich dabei darüber nachdenke, wie eigentlich mein Verhältnis zu anderen christlichen Gemeinschaften ist. Stattdessen distanziere ich mich meistens eher von anderen durch meine Theologie, anstatt zu bedenken, daß Gott und Christus auch nur einer sind. Dementsprechend sollte auch der Leib Christi nur einer sein, weil in ihm alle Christen gleich(-wertig) sind, wie Paulus in Gal 3,28 so prägnant formuliert:


"Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn sie sind allesamt einer in Christus Jesus."

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