Erfahrung vs. Theologie & Offenbarung? Eine Auseinandersetzung mit dem “Gottesbegriff nach Auschwitz“ von Hans Jonas, Teil 1

Bereits vor gut drei Monaten habe ich über Hans Jonas gebloggt, und zwar im Zuge seiner Verantwortungsethik. Jonas war allerdings nicht nur ein einflussreicher (jüdischer) Denker in der Ethik, sondern letztlich auch in der theologisch-philosophischen Debatte über das Theodizee-Problem. Zwar bietet Jonas eine Extrem-Position, dürfte aber deshalb für die Emerging-Szene interessant sein, weil er konsequent nach der Vereinbarkeit von Erfahrung und Theologie fragt und somit gerade nicht in der Theorie verharrt, wie sich etwas irgendwie verhalten müsste. Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, seine Gedanken an dieser Stelle kritisch nachzuzeichnen, um dann zu fragen, wie relevante Theologie im 21. Jahrhundert davon profitieren kann.

Der “Gottesbegriff nach Auschwitz“ geht zurück auf einen Vortrag, den Hans Jonas 1984 in Tübingen
im Zuge seiner Verleihung des Dr. Leopold - Lucas - Preises der Evangelisch - theologischen Fakultät der
Eberhard - Karls - Universität gehalten hat (7). Weil beide Mütter - sowohl die von Jonas als auch die von
Lucas - in Auschwitz gestorben seien, habe sich Jonas das Thema des Vortrags aufgedrängt (7). Die emotionale Verbindung zum Thema liegt somit auf der Hand, und es ist klar, dass Jonas nicht rein theoretisch über den Gottesbegriff redet; aus dieser Not macht er eine Tugend und setzt als Philosoph dezidiert die Erfahrung als wesentliches Instrument zur Gotteserkenntnis voraus. Dies nennt er “ein Stück unverhüllt spekulativer Theologie“ (7; vgl. auch 9f.), weil er einerseits tatsächlich anhand eines Mythos über den Gottesbegriff spekulieren wird, sich andererseits bewusst sein dürfte, dass die auf Offenbarung Gottes pochende klassische Theologie zumeist irgendwie bei der Bibel ansetzt und daraus hervorgehend versucht, die Welt zu erklären. Mit möglicherweise impliziter Anspielung auf Yosef Hayim Yerushalmis “Zachor“, das im Englischen zum ersten Mal 1982 erschienen ist, versteht Jonas die Bibel als Verschriftlichung des jüdischen Kollektivgedächtnisses (10), womit sowohl Raum für die Erfahrung wie auch Offenbarung innerhalb der Entstehung der Bibel gegeben ist.
Dass Jonas aber nicht nur spekulieren möchte, macht er dadurch deutlich, dass er das Thema “mit Furcht und Zittern“ (7) gewählt habe, was nicht nur wörtlich auf eine der Schriften Søren Kierkegaards anspielt, in der es um den Glaubensgehorsam Abrahams im Zuge seiner Opferung Isaaks geht (im Gegensatz zu manch anderem tragischen Helden wie Agamemnon, Jephta oder Brutus besteht ja kein rationaler Grund zu dieser Tat); auch prominente christliche und jüdische Theologen des 20. Jahrhunderts wie Dietrich Bonhoeffer und Abraham Joshua Heschel verweisen auf die ehrfürchtige Haltung Gott gegenüber beim Theologie-Betreiben bzw. Erkenntnisgewinn, zu denen Jonas sich dadurch einreiht. Gleichsam ist der Vortrag gerahmt von Aussagen darüber, dass Jonas selbstverständlich keinen Anspruch auf Richtigkeit erhebt, sodass der Vortrag wie ein demütiger Versuch wirkt, Lobpreis Gottes zu sein.

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