“Stell dir vor, es ist Gottesdienst, und alle wollen hin“ - Rezension zu Johannes Reimers “Gott in der Welt feiern“, Teil 1 (Grundlagen)
Auch im Jahre 2014 stell ich mir verschärft wieder einmal die Frage nach Inhalt, Art und Struktur von Kirche; so befindet sich aktuell an der Tür meines Arbeitszimmers eine große Mindmap mit Gedanken dazu (auf ein geeignetes Whiteboard muss ich wohl noch etwas warten:-). Früher oder später taucht natürlich auch “der“ Gottesdienst auf, welche Rolle er eigentlich spielt, welche Aufgaben er hat usw. Zu diesem Zweck habe ich mich näher mit dem Buch “Gott in der Welt feiern. Auf dem Weg zum missionalen Gottesdienst“ von Dr. Johannes Reimer beschäftigt. Er selbst kennt genau diese Fragen in und auswendig, sowohl in der Rolle als Gemeindegründer (er hat angeblich beinahe 20 Gemeinden gegründet!) als auch als Professor für Missiologie an der UNISA (“University of South Africa“) und Dozent an der Theologischen Hochschule Ewersbach und am IGW (“Institut für Gemeindebau und Weltmission“). In der IGW-Edition innerhalb des Neufeld-Verlages ist dieses Buch dann auch erschienen (zunächst 2010 und in der 2. Auflage 2011) und erstrahlt in Paperback mit dem typischen IGW-Logo in gelb auf grün-blauem Hintergrund.
Dass Reimer sowohl die Theorie als auch die Praxis kennt, wird von Beginn des Buches an deutlich. Hier ist nicht - wie in manch anderer Einführung in die Liturgik (= Gottesdienstlehre) - von trockener Theorie die Rede, sondern ich als Leser möchte am liebsten nach der Lektüre des Buches loslegen und ran an den Speck. Des Weiteren wird sofort ersichtlich, dass Reimer Missiologe ist, sprich sein Anliegen und seine Theologie entfaltet er von der Sendung (lat. = “missio“) her - zunächst einmal der des Gottessohnes Jesus und dann entsprechend vom Sendungsauftrag der Kirche. Wer meinen letzten Blogeintrag über “Kirche als Durchlauferhitzer“ gelesen hat, kann sich denken, wie sehr ich diesen Aspekt in Reimers Theologie (und entsprechend Liturgik) schätze. So folgert er konsequent im Vorwort (12):
“Das Wesen des christlichen Gottesdienstes kann nur im Kontext des Wesens der Gemeinde selbst gedacht werden und diese ist rein missionarisch zu bestimmen. Die Kirche ist missionarisch von ihrem Wesen her […].“
Für Reimer sind also Kirche und Gottesdienst untrennbar miteinander verbunden. Warum das so ist und wie demzufolge ein sog. “missionaler Gottesdienst“ - also von der Sendung der Kirche aus gedacht - auszusehen hat, entfaltet er in sieben Kapiteln. Er geht aus von dem Ist-Zustand vieler Kirchen (“Gottesdienst - und keiner geht hin“; so der Titel des ersten Kapitels), in den er den Leser anhand von Fragen und Tabellen über sein/ihr Verständnis und Erlebnis von Gottesdienst bzw. Kirche mit hineinnimmt (15-24). Die Art und Weise, wie Reimer hier mit Statistiken umgeht, zeigt, dass er kein reines Praxisbuch schreibt, sondern wohl vertraut ist mit der wissenschaftlichen Theologie und sich dort auch einreihen möchte (am Schluss mehr dazu).
Dass für Reimer Kirche/Gemeinde und Gottesdienst untrennbar zusammengehören, erörtert und belegt er im zweiten Kapitel (“Keine Gemeinde ohne Gottesdienst“), und zwar weitestgehend historisch-exegetisch; dieser Abschnitt ist somit relativ theoretisch aber nötig, um die Grundlagen zu legen. Reimer zielt darauf ab, die Gemeinde als “Agent der politischen und sozialen Transformation“ (31) darzustellen, die er - der griechischen Bezeichnung im Neuen Testament - entsprechend aus dem Einfluss sowohl des israelitischen qahal als auch der griechischen ekklesia ableitet. Deshalb verknüpft er die Versammlung mit dem Alltagsgehorsam als grundlegende Bestandteile der ekklesia und ordnet der Versammlung fünf wesentliche Facetten zu, auf die er im Weiteren mehr oder weniger ausführlich zu sprechen kommt: a) Verherrlichung Gottes, b) Anbetung Gottes, c) Begegnung zwischen Menschen, d) konstituierendes Ereignis der ekklesia, e) menschenzentriert (28-30). Denn beides - qahal und ekklesia - exegesiert Reimer als Volksversammlung, die herausgerufen ist aus der Menge zur Verantwortung und zum Wohl der örtlichen Gemeinschaft (30f.).
Wie anfangs angedeutet, leitet Reimer Kirche von der Sendung her ab. Diese aber wiederum konstitutiere sich in der Gotteslehre, sodass auf der anderen Seite auch der Gottesdienst die Gotteslehre widerspiegeln müsse, so Reimer. Deshalb - und dies führt er anhand des mittelalterlichen Ikonenmalers Andrej Rublew für meinen Geschmack etwas zu langatmig aus - hat sich Reimer zufolge auch der Gottesdienst an dem trinitarischen Charakter Gottes zu orientieren, woraus er drei Sendungen ableitet und mit der gottesdienstlichen Praxis verbindet:
Die missio Dei, also die Sendung Gottes, bedeutet für Reimer, dass Gott selbst zum Gottesdienst einlädt (43). Der Gottesdienst soll somit als missionarische Aussendungsfeier dienen, sodass Reimer pointiert formulieren kann: “Aber Gott hat sein Volk in dieser Welt nicht zum Selbstzweck. Sein missionarisches Interesse ist die Welt und nicht die Kirche.“ (45) Dies ist die Perspektive, die ich ausführlich in meinem letzten Blogpost thematisiert habe und grundsätzlich befürworte.
Als missio Christi bezeichnet Reimer die dienende Haltung Gottes, die er im sich selbst erniedrigenden Christus vorfindet, der sich entmachtet und der Welt gleichstellt, in ihr sozusagen inkulturiert. Weil Christus dies zur Rettung der Welt getan hat, kann auch Reimer die Inkulturation der Kirche in ihrer Kontextualisierung als soteriologisch etikettieren (50f.). In Widerspiegelung des inkarnierten Gottes müsse, so Reimer, auch der Gottesdienst christozentrisch ausgerichtet sein und sich wegen der soteriologischen Dimension (und mit Verweis auf 1 Kor 14) von der Verständlichkeit her an den Ungläubigen orientieren (55).
Als dritte Facette trinitarischen Denkens macht Reimer auf die missio Spiritus, die Sendung des Heiligen Geistes, aufmerksam, die seiner Ansicht nach in ekklesiologisch-liturgischer Reflexion oft zu unberücksichtigt bleibt, aber gerade untrennbar verwoben sei: “Missionaler Gottes kann daher nur als geistgeführter Gottesdienst gedacht werden.“ (58) Denn sowohl Gemeindebau als auch Bekehrungen zu Jesus kann Reimer nur als Wirken des Heiligen Geistes verbuchen, weshalb er u.a. auch auf den Einsatz von Charismen hinweist (61).
Systematisch-Theologisch liegt Reimer bis hierhin damit relativ im Mainstream reformatorischer Theologie, auch wenn der Sendungsgedanke natürlich bei ihm besonders präsent ist. Spannend wird es ab dem 2. Kapitel, wenn es dann tatsächlich praktisch und konkret um den “Gottesdienst mit Inhalt“ (3. Kapitel), “Die Gestalt des missionalen Gottesdienstes“ (4. Kapitel), die “Gottesdienstleitung“ (5. Kapitel), die “Gottesdienstplanung“ (6. Kapitel) und um den “Werkzeugkasten des Gottesdienstleiters“ (7. Kapitel) geht. Bis hierhin war es etwas theoretisch, aber mehr zur konkreten Praxis dann in den nächsten Tagen.
Dass Reimer sowohl die Theorie als auch die Praxis kennt, wird von Beginn des Buches an deutlich. Hier ist nicht - wie in manch anderer Einführung in die Liturgik (= Gottesdienstlehre) - von trockener Theorie die Rede, sondern ich als Leser möchte am liebsten nach der Lektüre des Buches loslegen und ran an den Speck. Des Weiteren wird sofort ersichtlich, dass Reimer Missiologe ist, sprich sein Anliegen und seine Theologie entfaltet er von der Sendung (lat. = “missio“) her - zunächst einmal der des Gottessohnes Jesus und dann entsprechend vom Sendungsauftrag der Kirche. Wer meinen letzten Blogeintrag über “Kirche als Durchlauferhitzer“ gelesen hat, kann sich denken, wie sehr ich diesen Aspekt in Reimers Theologie (und entsprechend Liturgik) schätze. So folgert er konsequent im Vorwort (12):
“Das Wesen des christlichen Gottesdienstes kann nur im Kontext des Wesens der Gemeinde selbst gedacht werden und diese ist rein missionarisch zu bestimmen. Die Kirche ist missionarisch von ihrem Wesen her […].“
Für Reimer sind also Kirche und Gottesdienst untrennbar miteinander verbunden. Warum das so ist und wie demzufolge ein sog. “missionaler Gottesdienst“ - also von der Sendung der Kirche aus gedacht - auszusehen hat, entfaltet er in sieben Kapiteln. Er geht aus von dem Ist-Zustand vieler Kirchen (“Gottesdienst - und keiner geht hin“; so der Titel des ersten Kapitels), in den er den Leser anhand von Fragen und Tabellen über sein/ihr Verständnis und Erlebnis von Gottesdienst bzw. Kirche mit hineinnimmt (15-24). Die Art und Weise, wie Reimer hier mit Statistiken umgeht, zeigt, dass er kein reines Praxisbuch schreibt, sondern wohl vertraut ist mit der wissenschaftlichen Theologie und sich dort auch einreihen möchte (am Schluss mehr dazu).
Dass für Reimer Kirche/Gemeinde und Gottesdienst untrennbar zusammengehören, erörtert und belegt er im zweiten Kapitel (“Keine Gemeinde ohne Gottesdienst“), und zwar weitestgehend historisch-exegetisch; dieser Abschnitt ist somit relativ theoretisch aber nötig, um die Grundlagen zu legen. Reimer zielt darauf ab, die Gemeinde als “Agent der politischen und sozialen Transformation“ (31) darzustellen, die er - der griechischen Bezeichnung im Neuen Testament - entsprechend aus dem Einfluss sowohl des israelitischen qahal als auch der griechischen ekklesia ableitet. Deshalb verknüpft er die Versammlung mit dem Alltagsgehorsam als grundlegende Bestandteile der ekklesia und ordnet der Versammlung fünf wesentliche Facetten zu, auf die er im Weiteren mehr oder weniger ausführlich zu sprechen kommt: a) Verherrlichung Gottes, b) Anbetung Gottes, c) Begegnung zwischen Menschen, d) konstituierendes Ereignis der ekklesia, e) menschenzentriert (28-30). Denn beides - qahal und ekklesia - exegesiert Reimer als Volksversammlung, die herausgerufen ist aus der Menge zur Verantwortung und zum Wohl der örtlichen Gemeinschaft (30f.).
Wie anfangs angedeutet, leitet Reimer Kirche von der Sendung her ab. Diese aber wiederum konstitutiere sich in der Gotteslehre, sodass auf der anderen Seite auch der Gottesdienst die Gotteslehre widerspiegeln müsse, so Reimer. Deshalb - und dies führt er anhand des mittelalterlichen Ikonenmalers Andrej Rublew für meinen Geschmack etwas zu langatmig aus - hat sich Reimer zufolge auch der Gottesdienst an dem trinitarischen Charakter Gottes zu orientieren, woraus er drei Sendungen ableitet und mit der gottesdienstlichen Praxis verbindet:
Die missio Dei, also die Sendung Gottes, bedeutet für Reimer, dass Gott selbst zum Gottesdienst einlädt (43). Der Gottesdienst soll somit als missionarische Aussendungsfeier dienen, sodass Reimer pointiert formulieren kann: “Aber Gott hat sein Volk in dieser Welt nicht zum Selbstzweck. Sein missionarisches Interesse ist die Welt und nicht die Kirche.“ (45) Dies ist die Perspektive, die ich ausführlich in meinem letzten Blogpost thematisiert habe und grundsätzlich befürworte.
Als missio Christi bezeichnet Reimer die dienende Haltung Gottes, die er im sich selbst erniedrigenden Christus vorfindet, der sich entmachtet und der Welt gleichstellt, in ihr sozusagen inkulturiert. Weil Christus dies zur Rettung der Welt getan hat, kann auch Reimer die Inkulturation der Kirche in ihrer Kontextualisierung als soteriologisch etikettieren (50f.). In Widerspiegelung des inkarnierten Gottes müsse, so Reimer, auch der Gottesdienst christozentrisch ausgerichtet sein und sich wegen der soteriologischen Dimension (und mit Verweis auf 1 Kor 14) von der Verständlichkeit her an den Ungläubigen orientieren (55).
Als dritte Facette trinitarischen Denkens macht Reimer auf die missio Spiritus, die Sendung des Heiligen Geistes, aufmerksam, die seiner Ansicht nach in ekklesiologisch-liturgischer Reflexion oft zu unberücksichtigt bleibt, aber gerade untrennbar verwoben sei: “Missionaler Gottes kann daher nur als geistgeführter Gottesdienst gedacht werden.“ (58) Denn sowohl Gemeindebau als auch Bekehrungen zu Jesus kann Reimer nur als Wirken des Heiligen Geistes verbuchen, weshalb er u.a. auch auf den Einsatz von Charismen hinweist (61).
Systematisch-Theologisch liegt Reimer bis hierhin damit relativ im Mainstream reformatorischer Theologie, auch wenn der Sendungsgedanke natürlich bei ihm besonders präsent ist. Spannend wird es ab dem 2. Kapitel, wenn es dann tatsächlich praktisch und konkret um den “Gottesdienst mit Inhalt“ (3. Kapitel), “Die Gestalt des missionalen Gottesdienstes“ (4. Kapitel), die “Gottesdienstleitung“ (5. Kapitel), die “Gottesdienstplanung“ (6. Kapitel) und um den “Werkzeugkasten des Gottesdienstleiters“ (7. Kapitel) geht. Bis hierhin war es etwas theoretisch, aber mehr zur konkreten Praxis dann in den nächsten Tagen.
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