Heinrich Christian Rust: Geist Gottes - Quelle des Lebens: Grundlagen einer missionalen Pneumatologie (Rezension, Teil 6)

Auch beim Aspekt der versöhnten Gemeinschaft, die Rust in Kapitel 6 spielt der Geist Gottes die federführende Rolle. Denn “die Gemeinde Jesu hat sich nicht selbst berufen, sondern sie wurde von dem Herrn der Gemeinde erwählt (Joh 15,16.19). In der Erwählung liegt der Entschluss des trinitarischen Gottes, nicht allein mit sich zu bleiben.“ (206) Diese Erwählung geschieht effektiv natürlich durch den in der Gemeinde Gottes wohnenden Geist Gottes, auch wenn Rust explizit von christologischer, pneumatologischer und eschatologischer Perspektive der Kirche redet (207).

Die Kirche als Leib Christi verkörpert damit Rust zufolge zunächst einmal eine “corporate identity“ (209), in der es weder hierarchische Strukturen noch bevormundende Ämter gibt und sich der Geist der Liebe Christi offenbart (211f.). Von der Leibmetaphorik leitet Rust des Weiteren die Funktion jenseits der Selbstgenügsamkeit ab (212) und kommt damit auf die klassischen Attribute der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse (Einheit, Heiligkeit, Katholizität, Apostolizität) zu sprechen (213ff.).

Die konfessionelle Ausdifferenziertheit will Rust dabei durch die missionale Pneumatologie überwinden, die “die Orthodoxie durch die Würdigung der ‘Gemeinschaft des Geistes‘ auch außerhalb der verfassten Kirchen im Blick auf die gemeinsame Bestimmung der ‘Gemeinschaft der Heiligen‘“ (215) relativiert. Denn es ist die Orthopraxie mit dem Ziel der gemeinsamen Mission, die Rust in den Fokus rückt (218; 2); immer wieder ist es die Verknüpfung von Missionalität und Pneumatologie, die Rust (zurecht) hervorhebt, was zeitweise aber etwas redundant wirkt.

Und so agiert der Geist Gottes nicht nur in der Predigt, sondern auch in der Taufe als “Wahrzeichen der Neuschöpfung“ (Moltmann; 223), im Abendmahl (223ff.) und im Charisma und (nicht-hierarchischem) Amt (228ff.). Der missionale Gedanke schlägt sich bei Rust aber v.a. auch in den fünf Grundfunktionen der Ekklesia (Kirche) nieder: Am Gottesdienst (leiturgia) kritisiert er die Kopflastigkeit, realisiert durch zu wenige Akteure - denn alle Geistbegabten sollen ja Priester sein -, wobei er gleichsam zu einer Glaubenserwartung und Offenheit aufseiten aller Gottesdienstteilnehmer aufruft und die explizite Anrufung des Heiligen Geistes fordert, während einer Ritualisierung vorzubeugen ist (240ff.).

Unter dem Stichwort “koinonia“ (Gemeinschaft) ruft Rust zu einem Neudenken auf hinsichtlich der gemeinschaftsbildenden Formen jenseits von arbeitsorientierten Projektgruppen (247); die klassisch heile, christliche Familie als Zielgruppe und Norm empfindet er in der Postmoderne für nur sehr eingeschränkt praktikabel (248).

Unter “martyria“ versteht Rust “[z]um einen […] das vollmächtige verbale Zeugnis, zum anderen die vom Geist Gottes gewirkte Erfahrung der mitfolgenden Zeichen und Wunder“ (250); weil für ihn die hinter dem Zeugnis stehende Wahrheit personell gebunden ist, und zwar in der Person Jesus Christus (vgl. Joh 14,6), sieht er in der persönlichen Evangelisation einen zunehmenden Stellenwert (251). Neben der Ausrichtung auf Zeichen und Wunder ist v.a. für evangelikalen Kreise Rusts Bewusstsein herausfordernd, dass die menschliche Entscheidung auf das Zeugnis “immer nur ein Echo auf die Ansprache und die von Sünde überführende Kraft des Heiligen Geistes sein“ (253) kann.

Neben der evangelistischen Praxis von Zeichen und Wundern (und der Wortverkündigung) ist es v.a. der Dienst am Nächsten (“diakonia“), den Rust als praktisch entscheidenden “Ausdruck der umfassenden Missio Dei sieht“ (255); in diesem Zuge kritisiert er v.a. die zunehmende Ökonomisierung der karitativen Einrichtungen der Großkirchen und betont die Liebe Gottes als entscheidende Kraftquelle des immerzu Dienenden, damit Diakonie nicht “zu einer kräftezehrenden Eventkultur“ (261) mutiert.

Als letzten der fünf Grundfunktionen thematisiert Rust die didaskalia, also die Lehre und Jüngerschaft, die er - mit den Worten Alan Hirschs - als wichtigstes Element der missionalen DNA bezeichnet (265). Dabei sei, so Rust, die ganze Person in den Blick zu nehmen, und Lehre müsse unter den Aspekten von “Begleitung, Lebenspraxis und Charismen der Lehre, des Wortes der Erkenntnis und der Weisheit“ (264) geschehen, nicht allein durch Vorträge.

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