Heinrich Christian Rust: Geist Gottes - Quelle des Lebens: Grundlagen einer missionalen Pneumatologie (Rezension, Teil 7)

Im siebenten Kapitel, “Der Geist der Gnade“, geht Rust konkret auf die unterschiedlichen Charismen (= Geistesgaben) ein. Konsequent argumentiert er auch hier zugunsten einer missionalen Ekklesiologie, denn die Charismen seien gegeben, “damit der erhöhte Christus in uns durch die Kraft seines Geistes die Missio Dei weiterführen kann. Die pneumatologische Bewegung geht vom Christus für uns (Soteriologie) zum Christus in uns (Heiligung und Ekklesiologie) und weiter zum Christus durch uns (Missiologie).“ (268) Anhand der griechischen Wurzeln verweist Rust dabei ausführlich auf den Aspekt der Gnade: Nichts über den Empfänger oder seine Heiligkeit sage die Gabe damit aus, lediglich insofern, als dass die jeweilige Gabe laut Rust auch von Persönlichkeit, Charakter und Kultur des Gabenträgers beeinflusst ist (272; 292ff.).

Ihre Grundlage entdeckt Rust aber natürlich in dem seit der Wiedergeburt dem Gläubigen innewohnenden Geist Gottes, was Rust dazu verleitet, von einem alles umfassenden “Grund-Charisma“ zu sprechen, von dem sich einzelne Begabungen und Profile erst ableiten ließen (273); im Gegensatz zu den natürlichen Begabungen entstünden diese erst durch die Initiative des Heiligen Geistes, deshalb “Geistesgabe“. So ist die natürliche Begabung des Menschen durch die Schöpfung angelegt, während es es bei den Geistesgaben die Neuschöpfung ist, auf die hin die Charismen wirken (siehe auch den nächsten Post zu “Geist der Hoffnung“).

Anstatt aber auf die einzelnen Charismen einzugehen - er listet 15 Gaben kurz auf, die er aus Röm 12, 1 Kor 12 und Eph 4 ableitet (275-277) -, ist Rust v.a. an Empfang und Entwicklung der Charismen interessiert. Trotz des Gnadencharakters ruft Rust zum Streben bzw. Eifern danach auf, freilich ohne Krampf und mit dienendem Herzen (281f.). Neben dem Gebet lenkt er dabei den Blick auch auf das Gespräch mit anderen Christen als Spiegel, um bisher unentdeckte Gaben zu lokalisieren (283). Dem schließe sich, so Rust, ein Lernprozess an; nicht um die Gabe zu perfektionieren - das sei sie bereits -, sondern um vom Träger mehr und mehr erkannt und im Umgang erlernt zu werden (284ff.). Dies impliziere Geduld, kontinuierliche Begleitung und Offenheit für Korrektur (285ff.); konkret greift Rust dabei exponierte Gaben wie Leitung oder Lehre und Prophetie heraus, bei denen (natürlich) auch Fehler gemacht werden (z.B. falsche Prophetien oder falsche Lehren), zu denen man offen stehen und gleichzeitig in der Gemeinde Vergebung erwarten können sollte (288).

Charakteristisch für Rust ist dabei die Forderung, in der Gemeinde für sämtlich Gaben offen zu sein. Ihm geht es dabei darum, dass seiner Ansicht nach auch Prophetie und Glossolalie (= Sprachengebet) ihren Platz im Gottesdienst haben sollen, da er den daraus resultierenden Segen für höher erachtet als die kulturelle Verschreckung; immerhin kann er ja mit Paulus zurecht auf das Überführungspotenzial der Prophetie hinweisen, wenn Ungläubige in der Gemeinde sind (vgl. 1 Kor 14). Dennoch sollte man meiner Meinung nach ganz individuell prüfen, was der Gemeinde und auch Gästen zuzutrauen ist und wo es wirklich strange wird. Selbst für Christen sind solche Praktiken ja manchmal sehr befremdlich, auch wenn ich theologisch gesehen Rust an dieser Stelle recht geben muss.

Wiederum interessant sind Rusts Gedanken, die er im Zuge der Ausprägung und Intensität von Charismen äußert. So geht er beispielsweise davon aus, dass durch die unterschiedliche Austeilung von Gaben konkrete Ortsgemeinden ein sehr unterschiedliches Gabenprofil haben können, welches er jeweils für ergänzungs- bedürftig hält (296f.). Damit wäre ja, sofern er denn recht hat, gerade die Notwendigkeit nach übergemeindlicher Zusammenarbeit gegeben und böte die Chance, dass sich unterschiedliche Gemeinden nebeneinander etablieren könnten (oder gar müssten) und man gerade nicht nach der einen richtigen Gemeindeform sucht, die es ja sowieso nicht gibt. Denn neben der Verherrlichung Gottes, der Auferbauung der Gemeinde und der eigenen Person selbst ist es ja v.a. die Mission, in deren Dienst die Charismen laut Rust stehen (298ff.), die aber vor Ort je nach Herausforderung und v.a. eigener Zielsetzung (sinnvollerweise anhand vorhandener Charismen) sehr unterschiedlich aussehen kann. Dabei kennt Rust natürlich die klassischen Einsatzorte der Charismen wie im Gottesdienst oder Hauskreis. Aber auch darüber hinaus sieht er Entfaltungspotenzial in Dienstgruppen, die geradezu evangelistisch wirken können (z.B. bei Prophetie oder Heilung), und v.a. im Alltag.

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